Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

than, in Empörung gesetzt, und er habe die folgenden Tage fast an nichts anderes als an das fatale Theaterstück denken können. Wenn ein Patient über Leibweh geklagt, so habe er geantwortet: trinken Sie Kamillenthee; und wenn Sie wüßten, wie es dem armen Ferdinand ergangen ist, so würden Sie sich aus dem bischen Leibweh gar nichts machen!

Weil es nun mit dem Schauspiele nicht geglückt, so hätten die Seinigen ihn in ein neues brillantes Ballet geführt; aber das sei noch schlimmer gewesen. Hier habe er sich über die unanständigen Bewegungen der Tänzerinnen so tief geschämt, daß er sich nicht getraut, seine alte, neben ihm sitzende Frau anzusehn. Und doch habe das Publikum, ja selbst der König, der doch eigentlich ein gutes Beispiel geben solle, ganz munter zugeschaut, und bei den verwegensten Verrenkungen geklatscht.

Das folgende originelle Geschichtchen habe ich nicht aus Heims Munde, es wurde aber damals in der ganzen Stadt erzählt. Er hatte einem Patienten sehr viele - vielleicht zu viele Aderlasse verordnet, und der Kranke war gestorben. Der ehrwürdige Hufeland, ein Muster edler Sittlichkeit und besonnener Mäßigung, machte ihm darüber gelinde Vorwürfe: wie werden Sie, lieber Kollege, dies einst bei unserem Herrgott verantworten können? Da werde ich sagen, erwiederte Heim, alter Herr, davon verstehn Sie nix!

Trotzdem daß dem Grosvater Eichmann niemals etwas fehlte, so schickte er doch hergebrachter Weise dem alten Heim alljährlich ein reichliches Sostrum. Nach Neujahr machte Heim ihm gewöhnlich einen Besuch, und sagte dann fast entrüstet: wie können Sie mir Geld schicken?

than, in Empörung gesetzt, und er habe die folgenden Tage fast an nichts anderes als an das fatale Theaterstück denken können. Wenn ein Patient über Leibweh geklagt, so habe er geantwortet: trinken Sie Kamillenthee; und wenn Sie wüßten, wie es dem armen Ferdinand ergangen ist, so würden Sie sich aus dem bischen Leibweh gar nichts machen!

Weil es nun mit dem Schauspiele nicht geglückt, so hätten die Seinigen ihn in ein neues brillantes Ballet geführt; aber das sei noch schlimmer gewesen. Hier habe er sich über die unanständigen Bewegungen der Tänzerinnen so tief geschämt, daß er sich nicht getraut, seine alte, neben ihm sitzende Frau anzusehn. Und doch habe das Publikum, ja selbst der König, der doch eigentlich ein gutes Beispiel geben solle, ganz munter zugeschaut, und bei den verwegensten Verrenkungen geklatscht.

Das folgende originelle Geschichtchen habe ich nicht aus Heims Munde, es wurde aber damals in der ganzen Stadt erzählt. Er hatte einem Patienten sehr viele – vielleicht zu viele Aderlasse verordnet, und der Kranke war gestorben. Der ehrwürdige Hufeland, ein Muster edler Sittlichkeit und besonnener Mäßigung, machte ihm darüber gelinde Vorwürfe: wie werden Sie, lieber Kollege, dies einst bei unserem Herrgott verantworten können? Da werde ich sagen, erwiederte Heim, alter Herr, davon verstehn Sie nix!

Trotzdem daß dem Grosvater Eichmann niemals etwas fehlte, so schickte er doch hergebrachter Weise dem alten Heim alljährlich ein reichliches Sostrum. Nach Neujahr machte Heim ihm gewöhnlich einen Besuch, und sagte dann fast entrüstet: wie können Sie mir Geld schicken?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0237" n="225"/>
than, in Empörung gesetzt, und er habe die folgenden Tage fast an nichts anderes als an das fatale Theaterstück denken können. Wenn ein Patient über Leibweh geklagt, so habe er geantwortet: trinken Sie Kamillenthee; und wenn Sie wüßten, wie es dem armen Ferdinand ergangen ist, so würden Sie sich aus dem bischen Leibweh gar nichts machen! </p><lb/>
          <p>Weil es nun mit dem Schauspiele nicht geglückt, so hätten die Seinigen ihn in ein neues brillantes Ballet geführt; aber das sei noch schlimmer gewesen. Hier habe er sich über die unanständigen Bewegungen der Tänzerinnen so tief geschämt, daß er sich nicht getraut, seine alte, neben ihm sitzende Frau anzusehn. Und doch habe das Publikum, ja selbst der König, der doch eigentlich ein gutes Beispiel geben solle, ganz munter zugeschaut, und bei den verwegensten Verrenkungen geklatscht. </p><lb/>
          <p>Das folgende originelle Geschichtchen habe ich nicht aus Heims Munde, es wurde aber damals in der ganzen Stadt erzählt. Er hatte einem Patienten sehr viele &#x2013; vielleicht zu viele Aderlasse verordnet, und der Kranke war gestorben. Der ehrwürdige Hufeland, ein Muster edler Sittlichkeit und besonnener Mäßigung, machte ihm darüber gelinde Vorwürfe: wie werden Sie, lieber Kollege, dies einst bei unserem Herrgott verantworten können? Da werde ich sagen, erwiederte Heim, alter Herr, davon verstehn Sie nix! </p><lb/>
          <p>Trotzdem daß dem Grosvater Eichmann niemals etwas fehlte, so schickte er doch hergebrachter Weise dem alten Heim alljährlich ein reichliches Sostrum. Nach Neujahr machte Heim ihm gewöhnlich einen Besuch, und sagte dann fast entrüstet: wie können Sie mir Geld schicken?
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0237] than, in Empörung gesetzt, und er habe die folgenden Tage fast an nichts anderes als an das fatale Theaterstück denken können. Wenn ein Patient über Leibweh geklagt, so habe er geantwortet: trinken Sie Kamillenthee; und wenn Sie wüßten, wie es dem armen Ferdinand ergangen ist, so würden Sie sich aus dem bischen Leibweh gar nichts machen! Weil es nun mit dem Schauspiele nicht geglückt, so hätten die Seinigen ihn in ein neues brillantes Ballet geführt; aber das sei noch schlimmer gewesen. Hier habe er sich über die unanständigen Bewegungen der Tänzerinnen so tief geschämt, daß er sich nicht getraut, seine alte, neben ihm sitzende Frau anzusehn. Und doch habe das Publikum, ja selbst der König, der doch eigentlich ein gutes Beispiel geben solle, ganz munter zugeschaut, und bei den verwegensten Verrenkungen geklatscht. Das folgende originelle Geschichtchen habe ich nicht aus Heims Munde, es wurde aber damals in der ganzen Stadt erzählt. Er hatte einem Patienten sehr viele – vielleicht zu viele Aderlasse verordnet, und der Kranke war gestorben. Der ehrwürdige Hufeland, ein Muster edler Sittlichkeit und besonnener Mäßigung, machte ihm darüber gelinde Vorwürfe: wie werden Sie, lieber Kollege, dies einst bei unserem Herrgott verantworten können? Da werde ich sagen, erwiederte Heim, alter Herr, davon verstehn Sie nix! Trotzdem daß dem Grosvater Eichmann niemals etwas fehlte, so schickte er doch hergebrachter Weise dem alten Heim alljährlich ein reichliches Sostrum. Nach Neujahr machte Heim ihm gewöhnlich einen Besuch, und sagte dann fast entrüstet: wie können Sie mir Geld schicken?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/237
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/237>, abgerufen am 27.04.2024.