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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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nicht alle russischen Häfen besetzt halten, und sobald er den Rücken wende, würden sie den Engländern wieder eröffnet. Allein bis zur gänzlichen Niederwerfung von Rußland liege noch ein weiter Weg vor ihm. Es könne leicht kommen, daß das riesengroße französische Heer, wie einst die Schaaren des Xerxes, an seiner eignen Masse zu Grunde gehe. Sobald die russische Gränze überschritten sei, befänden sich die Franzosen in einem dünnbevölkerten, schlechtbebauten Lande, das in großen Entfernungen mit einigen elenden Dörfern, in noch größeren mit unbedeutenden Städten besetzt sei. Ackerbau und Viehzucht könnten nur an einzelnen Stellen gedeihen; die in den unwirthbaren Steppen herumirrenden Heerden würden sich bei der Annäherung des Feindes zurückziehn, und ihn dem bittersten Mangel preisgeben.

Dies und ähnliches hörte man von den Widerwilligen und Vorsichtigen, aber die kühnen und zuversichtlichen Bewunderer des napoleonischen Genies entgegneten hierauf: ob denn der Kaiser diese Bedenken nicht eben so gut, und noch besser als jeder andre werde erwogen haben? Man wisse, daß er seit länger als einem Jahre die Geographie von Rußland auf das sorgfältigste studire, daß ein Memoire über die ökonomischen, finanziellen und militärischen Hülfsquellen des Czarenreiches nie von seinem Schreibtische wegkomme, daß die genausten Karten von Rußland die Wände seines Arbeitskabinettes bedeckten. Da es nicht möglich sei, das Heer vom Lande Rußland selbst ernähren zu lassen, so werde er die nöthigen Lebensbedürfnisse den vorrückenden Truppen nachschicken.

Dies lasse sich, sagten die Gegner, mit dem reichen Deutschland im Rücken, wohl auf eine kurze Zeit ausführen,

nicht alle russischen Häfen besetzt halten, und sobald er den Rücken wende, würden sie den Engländern wieder eröffnet. Allein bis zur gänzlichen Niederwerfung von Rußland liege noch ein weiter Weg vor ihm. Es könne leicht kommen, daß das riesengroße französische Heer, wie einst die Schaaren des Xerxes, an seiner eignen Masse zu Grunde gehe. Sobald die russische Gränze überschritten sei, befänden sich die Franzosen in einem dünnbevölkerten, schlechtbebauten Lande, das in großen Entfernungen mit einigen elenden Dörfern, in noch größeren mit unbedeutenden Städten besetzt sei. Ackerbau und Viehzucht könnten nur an einzelnen Stellen gedeihen; die in den unwirthbaren Steppen herumirrenden Heerden würden sich bei der Annäherung des Feindes zurückziehn, und ihn dem bittersten Mangel preisgeben.

Dies und ähnliches hörte man von den Widerwilligen und Vorsichtigen, aber die kühnen und zuversichtlichen Bewunderer des napoleonischen Genies entgegneten hierauf: ob denn der Kaiser diese Bedenken nicht eben so gut, und noch besser als jeder andre werde erwogen haben? Man wisse, daß er seit länger als einem Jahre die Geographie von Rußland auf das sorgfältigste studire, daß ein Memoire über die ökonomischen, finanziellen und militärischen Hülfsquellen des Czarenreiches nie von seinem Schreibtische wegkomme, daß die genausten Karten von Rußland die Wände seines Arbeitskabinettes bedeckten. Da es nicht möglich sei, das Heer vom Lande Rußland selbst ernähren zu lassen, so werde er die nöthigen Lebensbedürfnisse den vorrückenden Truppen nachschicken.

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[321/0333] nicht alle russischen Häfen besetzt halten, und sobald er den Rücken wende, würden sie den Engländern wieder eröffnet. Allein bis zur gänzlichen Niederwerfung von Rußland liege noch ein weiter Weg vor ihm. Es könne leicht kommen, daß das riesengroße französische Heer, wie einst die Schaaren des Xerxes, an seiner eignen Masse zu Grunde gehe. Sobald die russische Gränze überschritten sei, befänden sich die Franzosen in einem dünnbevölkerten, schlechtbebauten Lande, das in großen Entfernungen mit einigen elenden Dörfern, in noch größeren mit unbedeutenden Städten besetzt sei. Ackerbau und Viehzucht könnten nur an einzelnen Stellen gedeihen; die in den unwirthbaren Steppen herumirrenden Heerden würden sich bei der Annäherung des Feindes zurückziehn, und ihn dem bittersten Mangel preisgeben. Dies und ähnliches hörte man von den Widerwilligen und Vorsichtigen, aber die kühnen und zuversichtlichen Bewunderer des napoleonischen Genies entgegneten hierauf: ob denn der Kaiser diese Bedenken nicht eben so gut, und noch besser als jeder andre werde erwogen haben? Man wisse, daß er seit länger als einem Jahre die Geographie von Rußland auf das sorgfältigste studire, daß ein Memoire über die ökonomischen, finanziellen und militärischen Hülfsquellen des Czarenreiches nie von seinem Schreibtische wegkomme, daß die genausten Karten von Rußland die Wände seines Arbeitskabinettes bedeckten. Da es nicht möglich sei, das Heer vom Lande Rußland selbst ernähren zu lassen, so werde er die nöthigen Lebensbedürfnisse den vorrückenden Truppen nachschicken. Dies lasse sich, sagten die Gegner, mit dem reichen Deutschland im Rücken, wohl auf eine kurze Zeit ausführen,

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/333>, abgerufen am 26.04.2024.