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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Er gehörte eben zu den Vermißten, die sich nicht wieder einstellten.

An seinem älteren Bruder, damals Hauptmann beim Geniecorps (jetzt Generallieutenant von Brese-Winiari) hingen wir mit warmer Freundschaft, obgleich sein ernstes Wesen uns großen Respekt einflößte. Wir hörten, daß er den Kronprinzen (nachherigen König Friedrich Wilhelm IV.) in der Mathematik unterrichtet, daß dieser ihm eine dauernde Anhänglichkeit bewahre, und ihn noch immer mit Du anrede. Brese sprach sehr wenig, aber alles was er sagte, trug den Stempel der grösten Gediegenheit. Nun hieß es, er sei verlobt, und bald erschien der schmucke, glänzende Offizier im Hause meines Vaters mit seiner jungen Braut, Fräulein Wittchow, deren Reize und Liebenswürdigkeit die ganze junge Welt in Entzücken versetzten. Die Hochzeit ward gefeiert, und nach einem Jahre erhöhte ein prächtiger Junge das Glück der Aeltern. Aber bald trat das Schicksal mit unerbittlicher Härte ein. Der Knabe saß, von seiner Mutter gehalten, auf dem Fensterbrette, als er durch eine rasche Wendung mit dem Kopfe zurückfiel und eine Scheibe eindrückte. Die scharfe Glaskante zerschnitt ihm die Pulsader am Halse, und er verblutete sich in den Armen der verzweifelnden Mutter. Dieses tragische Ereigniß war um so grausamer, als die Ehe von nun an kinderlos blieb.

Die beiden ältesten Söhne des Onkels Eichmann, Julius und Franz, kamen wohlbehalten zurück, und verkehrten viel in unserm Hause. Julius war von männlich kräftiger Gestalt; er widmete sich dem Forstfache und liebte leidenschaftlich die Jagd. Er konnte uns kein größeres Vergnügen bereiten, als wenn er sein gewaltiges Jagdmesser

Er gehörte eben zu den Vermißten, die sich nicht wieder einstellten.

An seinem älteren Bruder, damals Hauptmann beim Geniecorps (jetzt Generallieutenant von Brese-Winiari) hingen wir mit warmer Freundschaft, obgleich sein ernstes Wesen uns großen Respekt einflößte. Wir hörten, daß er den Kronprinzen (nachherigen König Friedrich Wilhelm IV.) in der Mathematik unterrichtet, daß dieser ihm eine dauernde Anhänglichkeit bewahre, und ihn noch immer mit Du anrede. Brese sprach sehr wenig, aber alles was er sagte, trug den Stempel der grösten Gediegenheit. Nun hieß es, er sei verlobt, und bald erschien der schmucke, glänzende Offizier im Hause meines Vaters mit seiner jungen Braut, Fräulein Wittchow, deren Reize und Liebenswürdigkeit die ganze junge Welt in Entzücken versetzten. Die Hochzeit ward gefeiert, und nach einem Jahre erhöhte ein prächtiger Junge das Glück der Aeltern. Aber bald trat das Schicksal mit unerbittlicher Härte ein. Der Knabe saß, von seiner Mutter gehalten, auf dem Fensterbrette, als er durch eine rasche Wendung mit dem Kopfe zurückfiel und eine Scheibe eindrückte. Die scharfe Glaskante zerschnitt ihm die Pulsader am Halse, und er verblutete sich in den Armen der verzweifelnden Mutter. Dieses tragische Ereigniß war um so grausamer, als die Ehe von nun an kinderlos blieb.

Die beiden ältesten Söhne des Onkels Eichmann, Julius und Franz, kamen wohlbehalten zurück, und verkehrten viel in unserm Hause. Julius war von männlich kräftiger Gestalt; er widmete sich dem Forstfache und liebte leidenschaftlich die Jagd. Er konnte uns kein größeres Vergnügen bereiten, als wenn er sein gewaltiges Jagdmesser

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[440/0452] Er gehörte eben zu den Vermißten, die sich nicht wieder einstellten. An seinem älteren Bruder, damals Hauptmann beim Geniecorps (jetzt Generallieutenant von Brese-Winiari) hingen wir mit warmer Freundschaft, obgleich sein ernstes Wesen uns großen Respekt einflößte. Wir hörten, daß er den Kronprinzen (nachherigen König Friedrich Wilhelm IV.) in der Mathematik unterrichtet, daß dieser ihm eine dauernde Anhänglichkeit bewahre, und ihn noch immer mit Du anrede. Brese sprach sehr wenig, aber alles was er sagte, trug den Stempel der grösten Gediegenheit. Nun hieß es, er sei verlobt, und bald erschien der schmucke, glänzende Offizier im Hause meines Vaters mit seiner jungen Braut, Fräulein Wittchow, deren Reize und Liebenswürdigkeit die ganze junge Welt in Entzücken versetzten. Die Hochzeit ward gefeiert, und nach einem Jahre erhöhte ein prächtiger Junge das Glück der Aeltern. Aber bald trat das Schicksal mit unerbittlicher Härte ein. Der Knabe saß, von seiner Mutter gehalten, auf dem Fensterbrette, als er durch eine rasche Wendung mit dem Kopfe zurückfiel und eine Scheibe eindrückte. Die scharfe Glaskante zerschnitt ihm die Pulsader am Halse, und er verblutete sich in den Armen der verzweifelnden Mutter. Dieses tragische Ereigniß war um so grausamer, als die Ehe von nun an kinderlos blieb. Die beiden ältesten Söhne des Onkels Eichmann, Julius und Franz, kamen wohlbehalten zurück, und verkehrten viel in unserm Hause. Julius war von männlich kräftiger Gestalt; er widmete sich dem Forstfache und liebte leidenschaftlich die Jagd. Er konnte uns kein größeres Vergnügen bereiten, als wenn er sein gewaltiges Jagdmesser

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/452>, abgerufen am 30.04.2024.