Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

des Tages anfieng aufzublühen, und es wehte
schon leise, als athme der Morgen vor der Son¬
ne her.

Wina gieng an der einen Hand des Vaters,
der in der andern einen sogenannten schwarzen
Spiegel hatte, um daraus die Natur zum zwei¬
tenmale als ein Luftschloß, als einen Abgußsaal
einzuschöpfen. Die Frühe -- Winas Morgen¬
kleidung -- das Träumerische, das der Morgen¬
stern auflösend im Herzen so unterhält, als ste¬
he er am Abendhorizonte -- und Walts Bewe¬
gungen von der Nacht her, so wie seine Hinsich¬
ten auf die nahe Scheide-Sekunde; das zusam¬
men machte ihn sprachlos, leise, sinnend, be¬
wegt, voll wunderbarer Liebe gegen das nähere
Jungfrauenherz, welche so weich und vielknospig
war, daß er sich auf Unterwegs freuete, um in
der blühenden Seeligkeit recht ruhig zu blättern.

Mit süsser Stimme aber that an ihn Wi¬
na die Bitte um Verzeihung des gestrigen Aus¬
einanderkommens. Da er die Bitte nicht zurück
geben konnte: so schwieg er. Darauf bat sie ihn,
Raphaela zu grüssen, und ihr als Ursache ihres

des Tages anfieng aufzubluͤhen, und es wehte
ſchon leiſe, als athme der Morgen vor der Son¬
ne her.

Wina gieng an der einen Hand des Vaters,
der in der andern einen ſogenannten ſchwarzen
Spiegel hatte, um daraus die Natur zum zwei¬
tenmale als ein Luftſchloß, als einen Abgußſaal
einzuſchoͤpfen. Die Fruͤhe — Winas Morgen¬
kleidung — das Traͤumeriſche, das der Morgen¬
ſtern aufloͤſend im Herzen ſo unterhaͤlt, als ſte¬
he er am Abendhorizonte — und Walts Bewe¬
gungen von der Nacht her, ſo wie ſeine Hinſich¬
ten auf die nahe Scheide-Sekunde; das zuſam¬
men machte ihn ſprachlos, leiſe, ſinnend, be¬
wegt, voll wunderbarer Liebe gegen das naͤhere
Jungfrauenherz, welche ſo weich und vielknoſpig
war, daß er ſich auf Unterwegs freuete, um in
der bluͤhenden Seeligkeit recht ruhig zu blaͤttern.

Mit ſuͤſſer Stimme aber that an ihn Wi¬
na die Bitte um Verzeihung des geſtrigen Aus¬
einanderkommens. Da er die Bitte nicht zuruͤck
geben konnte: ſo ſchwieg er. Darauf bat ſie ihn,
Raphaela zu gruͤſſen, und ihr als Urſache ihres

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0208" n="200"/>
des Tages anfieng aufzublu&#x0364;hen, und es wehte<lb/>
&#x017F;chon lei&#x017F;e, als athme der Morgen vor der Son¬<lb/>
ne her.</p><lb/>
        <p>Wina gieng an der einen Hand des Vaters,<lb/>
der in der andern einen &#x017F;ogenannten &#x017F;chwarzen<lb/>
Spiegel hatte, um daraus die Natur zum zwei¬<lb/>
tenmale als ein Luft&#x017F;chloß, als einen Abguß&#x017F;aal<lb/>
einzu&#x017F;cho&#x0364;pfen. Die Fru&#x0364;he &#x2014; Winas Morgen¬<lb/>
kleidung &#x2014; das Tra&#x0364;umeri&#x017F;che, das der Morgen¬<lb/>
&#x017F;tern auflo&#x0364;&#x017F;end im Herzen &#x017F;o unterha&#x0364;lt, als &#x017F;te¬<lb/>
he er am Abendhorizonte &#x2014; und Walts Bewe¬<lb/>
gungen von der Nacht her, &#x017F;o wie &#x017F;eine Hin&#x017F;ich¬<lb/>
ten auf die nahe Scheide-Sekunde; das zu&#x017F;am¬<lb/>
men machte ihn &#x017F;prachlos, lei&#x017F;e, &#x017F;innend, be¬<lb/>
wegt, voll wunderbarer Liebe gegen das na&#x0364;here<lb/>
Jungfrauenherz, welche &#x017F;o weich und vielkno&#x017F;pig<lb/>
war, daß er &#x017F;ich auf Unterwegs freuete, um in<lb/>
der blu&#x0364;henden Seeligkeit recht ruhig zu bla&#x0364;ttern.</p><lb/>
        <p>Mit &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;er Stimme aber that an ihn Wi¬<lb/>
na die Bitte um Verzeihung des ge&#x017F;trigen Aus¬<lb/>
einanderkommens. Da er die Bitte nicht zuru&#x0364;ck<lb/>
geben konnte: &#x017F;o &#x017F;chwieg er. Darauf bat &#x017F;ie ihn,<lb/>
Raphaela zu gru&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und ihr als Ur&#x017F;ache ihres<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0208] des Tages anfieng aufzubluͤhen, und es wehte ſchon leiſe, als athme der Morgen vor der Son¬ ne her. Wina gieng an der einen Hand des Vaters, der in der andern einen ſogenannten ſchwarzen Spiegel hatte, um daraus die Natur zum zwei¬ tenmale als ein Luftſchloß, als einen Abgußſaal einzuſchoͤpfen. Die Fruͤhe — Winas Morgen¬ kleidung — das Traͤumeriſche, das der Morgen¬ ſtern aufloͤſend im Herzen ſo unterhaͤlt, als ſte¬ he er am Abendhorizonte — und Walts Bewe¬ gungen von der Nacht her, ſo wie ſeine Hinſich¬ ten auf die nahe Scheide-Sekunde; das zuſam¬ men machte ihn ſprachlos, leiſe, ſinnend, be¬ wegt, voll wunderbarer Liebe gegen das naͤhere Jungfrauenherz, welche ſo weich und vielknoſpig war, daß er ſich auf Unterwegs freuete, um in der bluͤhenden Seeligkeit recht ruhig zu blaͤttern. Mit ſuͤſſer Stimme aber that an ihn Wi¬ na die Bitte um Verzeihung des geſtrigen Aus¬ einanderkommens. Da er die Bitte nicht zuruͤck geben konnte: ſo ſchwieg er. Darauf bat ſie ihn, Raphaela zu gruͤſſen, und ihr als Urſache ihres

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/208
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/208>, abgerufen am 29.04.2024.