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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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das Erweichen der andern verdroß, wurde alles noch
ärger: denn der äussere Lärm stillt die Seele.

Draussen schwammen alle Graspartien und Son¬
nenfelder im Tropfbad des Thaus und im kalten
Luftbad des Morgenwinds. Er wurde darinn wie
heisses Eisen gehärtet: ein Morgenland voll unüber¬
sehlicher Hofnungen umzog ihn, er kleidete sich aus,
warf sich brennend ins tropfende Gras, wusch sich
(aber nicht aus ästhetischen Karnazions-Endzwecken
der Mädgen) das feste Gesicht mit flüssigem Junius¬
schnee und trat, mit straffern Fiebern bespannt, aus
dem Tropfbad in den Anzug -- blos Haar und
Brust steckt' er in kein Gefängniß.

Er wäre gewiß eher abgegangen; aber er wollte
dem Monde ausweichen, den er so wenig mit der
Sonne zu gatten vermochte als die Kinder von bei¬
den, Nachtgedanken mit Morgengedanken. Denn
wenn die Morgenwolken um den Menschen thauen,
wenn die liebenden Vögel schreiend durch den Glanz¬
nebel schiessen, wenn die Sonne aus der Wolkenglut
verschwillt: so drückt der erfrischte Mensch seinen
Fuß tiefer in seine Erde ein und wächset mit neuem
Lebens-Epheu fester an seinen Planeten an.

Langsam watete er durch eine niedrige Haselstau¬
den-Allee und streifte ungern ihre erkälteten Käfer
ab: er hielt an sich und stand endlich, um sich zu
verspäten, weil er besorgte, ins nahe Wäldgen zu

das Erweichen der andern verdroß, wurde alles noch
aͤrger: denn der aͤuſſere Laͤrm ſtillt die Seele.

Drauſſen ſchwammen alle Graspartien und Son¬
nenfelder im Tropfbad des Thaus und im kalten
Luftbad des Morgenwinds. Er wurde darinn wie
heiſſes Eiſen gehaͤrtet: ein Morgenland voll unuͤber¬
ſehlicher Hofnungen umzog ihn, er kleidete ſich aus,
warf ſich brennend ins tropfende Gras, wuſch ſich
(aber nicht aus aͤſthetiſchen Karnazions-Endzwecken
der Maͤdgen) das feſte Geſicht mit fluͤſſigem Junius¬
ſchnee und trat, mit ſtraffern Fiebern beſpannt, aus
dem Tropfbad in den Anzug — blos Haar und
Bruſt ſteckt' er in kein Gefaͤngniß.

Er waͤre gewiß eher abgegangen; aber er wollte
dem Monde ausweichen, den er ſo wenig mit der
Sonne zu gatten vermochte als die Kinder von bei¬
den, Nachtgedanken mit Morgengedanken. Denn
wenn die Morgenwolken um den Menſchen thauen,
wenn die liebenden Voͤgel ſchreiend durch den Glanz¬
nebel ſchieſſen, wenn die Sonne aus der Wolkenglut
verſchwillt: ſo druͤckt der erfriſchte Menſch ſeinen
Fuß tiefer in ſeine Erde ein und waͤchſet mit neuem
Lebens-Epheu feſter an ſeinen Planeten an.

Langſam watete er durch eine niedrige Haſelſtau¬
den-Allee und ſtreifte ungern ihre erkaͤlteten Kaͤfer
ab: er hielt an ſich und ſtand endlich, um ſich zu
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[212/0223] das Erweichen der andern verdroß, wurde alles noch aͤrger: denn der aͤuſſere Laͤrm ſtillt die Seele. Drauſſen ſchwammen alle Graspartien und Son¬ nenfelder im Tropfbad des Thaus und im kalten Luftbad des Morgenwinds. Er wurde darinn wie heiſſes Eiſen gehaͤrtet: ein Morgenland voll unuͤber¬ ſehlicher Hofnungen umzog ihn, er kleidete ſich aus, warf ſich brennend ins tropfende Gras, wuſch ſich (aber nicht aus aͤſthetiſchen Karnazions-Endzwecken der Maͤdgen) das feſte Geſicht mit fluͤſſigem Junius¬ ſchnee und trat, mit ſtraffern Fiebern beſpannt, aus dem Tropfbad in den Anzug — blos Haar und Bruſt ſteckt' er in kein Gefaͤngniß. Er waͤre gewiß eher abgegangen; aber er wollte dem Monde ausweichen, den er ſo wenig mit der Sonne zu gatten vermochte als die Kinder von bei¬ den, Nachtgedanken mit Morgengedanken. Denn wenn die Morgenwolken um den Menſchen thauen, wenn die liebenden Voͤgel ſchreiend durch den Glanz¬ nebel ſchieſſen, wenn die Sonne aus der Wolkenglut verſchwillt: ſo druͤckt der erfriſchte Menſch ſeinen Fuß tiefer in ſeine Erde ein und waͤchſet mit neuem Lebens-Epheu feſter an ſeinen Planeten an. Langſam watete er durch eine niedrige Haſelſtau¬ den-Allee und ſtreifte ungern ihre erkaͤlteten Kaͤfer ab: er hielt an ſich und ſtand endlich, um ſich zu verſpaͤten, weil er beſorgte, ins nahe Waͤldgen zu

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/223>, abgerufen am 29.04.2024.