löcherigten Säcken voll Tannenzapfen befrachtet; die das arme Gespann zu einem hektischen Feuer zusam¬ menfuhr. Beide vertauschten häufig ihre Chargen, um es auszudauern; und der Fuhrmann wollte im¬ merfort sogleich wieder der Gaul werden. "Ihr gu¬ "ten Kinder! kann denn nicht euer Vater schieben?" -- "Der Baum hat ihm die zwei Beine entzwei ge¬ "schlagen." -- "So könnte doch Euer großer Bru¬ "der in den Wald?" -- "Er muß dort brachen" -- Viktor stand am Brachacker neben einem Wams mit eben so viel Farben als Löchern und neben ei¬ nem schmutzigen Brodsack, welches sämtlich dem Bru¬ der angehörte, der in der Ferne mit einem halben Postzug magerer Kühe auf dem Theater dieser Szene ackerte. -- -- Eine volle Hand, die sich in den Schoos des Elends ausleerte, machte Viktors schwe¬ re Seele leichter wie das volle Auge, das sich jener nach ergoß: sein Gewissen, nicht sein Eigennutz, war sein Opponent gegen die Größe seiner Gabe -- er gab sie doch, aber in kleinen Münzsorten -- die Kinder verließen ihre Kaufmannsgüter und das eine lief über das Feld hinüber zum Pfluge und das an¬ dre ins Dörfgen hinab zur Mutter. -- Der Ackers¬ mann zog in der Ferne den Hut ab -- wollte laut danken, konnte sich aber nur schneuzen -- ackerte ohne Hut heran -- aber erst als er dem Jüngling
loͤcherigten Saͤcken voll Tannenzapfen befrachtet; die das arme Geſpann zu einem hektiſchen Feuer zuſam¬ menfuhr. Beide vertauſchten haͤufig ihre Chargen, um es auszudauern; und der Fuhrmann wollte im¬ merfort ſogleich wieder der Gaul werden. »Ihr gu¬ »ten Kinder! kann denn nicht euer Vater ſchieben?« — »Der Baum hat ihm die zwei Beine entzwei ge¬ »ſchlagen.« — »So koͤnnte doch Euer großer Bru¬ «der in den Wald?« — »Er muß dort brachen« — Viktor ſtand am Brachacker neben einem Wams mit eben ſo viel Farben als Loͤchern und neben ei¬ nem ſchmutzigen Brodſack, welches ſaͤmtlich dem Bru¬ der angehoͤrte, der in der Ferne mit einem halben Poſtzug magerer Kuͤhe auf dem Theater dieſer Szene ackerte. — — Eine volle Hand, die ſich in den Schoos des Elends ausleerte, machte Viktors ſchwe¬ re Seele leichter wie das volle Auge, das ſich jener nach ergoß: ſein Gewiſſen, nicht ſein Eigennutz, war ſein Opponent gegen die Groͤße ſeiner Gabe — er gab ſie doch, aber in kleinen Muͤnzſorten — die Kinder verließen ihre Kaufmannsguͤter und das eine lief uͤber das Feld hinuͤber zum Pfluge und das an¬ dre ins Doͤrfgen hinab zur Mutter. — Der Ackers¬ mann zog in der Ferne den Hut ab — wollte laut danken, konnte ſich aber nur ſchneuzen — ackerte ohne Hut heran — aber erſt als er dem Juͤngling
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loͤcherigten Saͤcken voll Tannenzapfen befrachtet; die
das arme Geſpann zu einem hektiſchen Feuer zuſam¬
menfuhr. Beide vertauſchten haͤufig ihre Chargen,
um es auszudauern; und der Fuhrmann wollte im¬
merfort ſogleich wieder der Gaul werden. »Ihr gu¬
»ten Kinder! kann denn nicht euer Vater ſchieben?«
— »Der Baum hat ihm die zwei Beine entzwei ge¬
»ſchlagen.« — »So koͤnnte doch Euer großer Bru¬
«der in den Wald?« — »Er muß dort brachen«
— Viktor ſtand am Brachacker neben einem Wams
mit eben ſo viel Farben als Loͤchern und neben ei¬
nem ſchmutzigen Brodſack, welches ſaͤmtlich dem Bru¬
der angehoͤrte, der in der Ferne mit einem halben
Poſtzug magerer Kuͤhe auf dem Theater dieſer Szene
ackerte. — — Eine volle Hand, die ſich in den
Schoos des Elends ausleerte, machte Viktors ſchwe¬
re Seele leichter wie das volle Auge, das ſich jener
nach ergoß: ſein Gewiſſen, nicht ſein Eigennutz, war
ſein Opponent gegen die Groͤße ſeiner Gabe — er
gab ſie doch, aber in kleinen Muͤnzſorten — die
Kinder verließen ihre Kaufmannsguͤter und das eine
lief uͤber das Feld hinuͤber zum Pfluge und das an¬
dre ins Doͤrfgen hinab zur Mutter. — Der Ackers¬
mann zog in der Ferne den Hut ab — wollte laut
danken, konnte ſich aber nur ſchneuzen — ackerte
ohne Hut heran — aber erſt als er dem Juͤngling
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/231>, abgerufen am 13.05.2024.
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