Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

die rothen Titelbuchstaben der Schönheit, nämlich
geschminkte Wangen wurden immer neu aufgelegt --
sehr zugenommen. Eigentlich war Viktor zu stolz,
um sich als einen bloßen Arzt begehren zu lassen;
ja er war zu stolz, um an sich etwas anders (und
wärs Philosophie, oder Schönheit) suchen zu lassen
als seinen Karakter: denn sein Vater, der noch zär¬
ter war, hatte ihn gelehrt, man muß keinem dienen
der uns nicht achtet oder den man selber nicht ach¬
tet, ja man muß von keinem eine Gefälligkeit an¬
nehmen, dem man nur einen äußerlichen, aber keinen
innerlichen Dank zu sagen vermag. Aber dieses
zarte Ehrgefühl, das nie mit seinem Eigennutze wohl
aber mit seiner Menschenliebe in ungleiche Treffen
kam, konnte ihm seine Hände nicht binden, womit
er einer unglücklichen Fürstin -- unglücklich, wie
er, durch Darben an Liebe -- wenigstens die
Schmerzen der Augen nehmen konnte: vielleicht auch
jüngere Schmerzen: denn seine Gutmüthigkeit gab
ihm lauter Versöhnungen ein, des Fürsten mit Le
Baut, mit der Fürstin, mit dem Minister. Nichts
ist gefährlicher, als zwei Menschen auszusöhnen --
man müßte denn der eine selber seyn; sie zu ent¬
zweien ist viel sicherer und leichter.

Er fand Agnola Nachmittags noch im Schlaf¬
zimmer, weil dessen grüne Tapeten (zwar nicht dem
Teint) aber dem heissen Auge schmeichelten. Ein

J 2

die rothen Titelbuchſtaben der Schoͤnheit, naͤmlich
geſchminkte Wangen wurden immer neu aufgelegt —
ſehr zugenommen. Eigentlich war Viktor zu ſtolz,
um ſich als einen bloßen Arzt begehren zu laſſen;
ja er war zu ſtolz, um an ſich etwas anders (und
waͤrs Philoſophie, oder Schoͤnheit) ſuchen zu laſſen
als ſeinen Karakter: denn ſein Vater, der noch zaͤr¬
ter war, hatte ihn gelehrt, man muß keinem dienen
der uns nicht achtet oder den man ſelber nicht ach¬
tet, ja man muß von keinem eine Gefaͤlligkeit an¬
nehmen, dem man nur einen aͤußerlichen, aber keinen
innerlichen Dank zu ſagen vermag. Aber dieſes
zarte Ehrgefuͤhl, das nie mit ſeinem Eigennutze wohl
aber mit ſeiner Menſchenliebe in ungleiche Treffen
kam, konnte ihm ſeine Haͤnde nicht binden, womit
er einer ungluͤcklichen Fuͤrſtin — ungluͤcklich, wie
er, durch Darben an Liebe — wenigſtens die
Schmerzen der Augen nehmen konnte: vielleicht auch
juͤngere Schmerzen: denn ſeine Gutmuͤthigkeit gab
ihm lauter Verſoͤhnungen ein, des Fuͤrſten mit Le
Baut, mit der Fuͤrſtin, mit dem Miniſter. Nichts
iſt gefaͤhrlicher, als zwei Menſchen auszuſoͤhnen —
man muͤßte denn der eine ſelber ſeyn; ſie zu ent¬
zweien iſt viel ſicherer und leichter.

Er fand Agnola Nachmittags noch im Schlaf¬
zimmer, weil deſſen gruͤne Tapeten (zwar nicht dem
Teint) aber dem heiſſen Auge ſchmeichelten. Ein

J 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0141" n="131"/>
die rothen Titelbuch&#x017F;taben der Scho&#x0364;nheit, na&#x0364;mlich<lb/>
ge&#x017F;chminkte Wangen wurden immer neu aufgelegt &#x2014;<lb/>
&#x017F;ehr zugenommen. Eigentlich war Viktor zu &#x017F;tolz,<lb/>
um &#x017F;ich als einen bloßen Arzt begehren zu la&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
ja er war zu &#x017F;tolz, um an &#x017F;ich etwas anders (und<lb/>
wa&#x0364;rs Philo&#x017F;ophie, oder Scho&#x0364;nheit) &#x017F;uchen zu la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
als &#x017F;einen Karakter: denn &#x017F;ein Vater, der noch za&#x0364;<lb/>
ter war, hatte ihn gelehrt, man muß keinem dienen<lb/>
der uns nicht achtet oder den man &#x017F;elber nicht ach¬<lb/>
tet, ja man muß von keinem eine Gefa&#x0364;lligkeit an¬<lb/>
nehmen, dem man nur einen a&#x0364;ußerlichen, aber keinen<lb/>
innerlichen Dank zu &#x017F;agen vermag. Aber die&#x017F;es<lb/>
zarte Ehrgefu&#x0364;hl, das nie mit &#x017F;einem Eigennutze wohl<lb/>
aber mit &#x017F;einer Men&#x017F;chenliebe in ungleiche Treffen<lb/>
kam, konnte ihm &#x017F;eine Ha&#x0364;nde nicht binden, womit<lb/>
er einer unglu&#x0364;cklichen Fu&#x0364;r&#x017F;tin &#x2014; unglu&#x0364;cklich, wie<lb/>
er, durch Darben an Liebe &#x2014; wenig&#x017F;tens die<lb/>
Schmerzen der Augen nehmen konnte: vielleicht auch<lb/><hi rendition="#g">ju&#x0364;ngere</hi> Schmerzen: denn &#x017F;eine Gutmu&#x0364;thigkeit gab<lb/>
ihm lauter Ver&#x017F;o&#x0364;hnungen ein, des Fu&#x0364;r&#x017F;ten mit Le<lb/>
Baut, mit der Fu&#x0364;r&#x017F;tin, mit dem Mini&#x017F;ter. Nichts<lb/>
i&#x017F;t gefa&#x0364;hrlicher, als zwei Men&#x017F;chen auszu&#x017F;o&#x0364;hnen &#x2014;<lb/>
man mu&#x0364;ßte denn der eine &#x017F;elber &#x017F;eyn; &#x017F;ie zu ent¬<lb/>
zweien i&#x017F;t viel &#x017F;icherer und leichter.</p><lb/>
          <p>Er fand Agnola Nachmittags noch im Schlaf¬<lb/>
zimmer, weil de&#x017F;&#x017F;en gru&#x0364;ne Tapeten (zwar nicht dem<lb/>
Teint) aber dem hei&#x017F;&#x017F;en Auge &#x017F;chmeichelten. Ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0141] die rothen Titelbuchſtaben der Schoͤnheit, naͤmlich geſchminkte Wangen wurden immer neu aufgelegt — ſehr zugenommen. Eigentlich war Viktor zu ſtolz, um ſich als einen bloßen Arzt begehren zu laſſen; ja er war zu ſtolz, um an ſich etwas anders (und waͤrs Philoſophie, oder Schoͤnheit) ſuchen zu laſſen als ſeinen Karakter: denn ſein Vater, der noch zaͤr¬ ter war, hatte ihn gelehrt, man muß keinem dienen der uns nicht achtet oder den man ſelber nicht ach¬ tet, ja man muß von keinem eine Gefaͤlligkeit an¬ nehmen, dem man nur einen aͤußerlichen, aber keinen innerlichen Dank zu ſagen vermag. Aber dieſes zarte Ehrgefuͤhl, das nie mit ſeinem Eigennutze wohl aber mit ſeiner Menſchenliebe in ungleiche Treffen kam, konnte ihm ſeine Haͤnde nicht binden, womit er einer ungluͤcklichen Fuͤrſtin — ungluͤcklich, wie er, durch Darben an Liebe — wenigſtens die Schmerzen der Augen nehmen konnte: vielleicht auch juͤngere Schmerzen: denn ſeine Gutmuͤthigkeit gab ihm lauter Verſoͤhnungen ein, des Fuͤrſten mit Le Baut, mit der Fuͤrſtin, mit dem Miniſter. Nichts iſt gefaͤhrlicher, als zwei Menſchen auszuſoͤhnen — man muͤßte denn der eine ſelber ſeyn; ſie zu ent¬ zweien iſt viel ſicherer und leichter. Er fand Agnola Nachmittags noch im Schlaf¬ zimmer, weil deſſen gruͤne Tapeten (zwar nicht dem Teint) aber dem heiſſen Auge ſchmeichelten. Ein J 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/141
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/141>, abgerufen am 26.04.2024.