Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Betragen zu kalt gegen Gute, zu tolerant gegen
Schlimme.

Noch dazu schwieg sein Emanuel und schloß wie
die Natur, seine Blumen in sich ein. -- Wen die
Natur ernährt und erhebt, der ist im Winter nicht
so gut als im Sommer: die Erde hatte jetzt ihren
Pudermantel von Schnee um und den ganzen Tag
die Nachtkleidung an, die Bäume hatten ihre Kno¬
spen in die Flocken-Papilloten gewickelt und die
Aeste sahen wie Haarnadeln aus -- Viktors Seele
war wie die Natur; o! der Himmel wärme bald in
beiden die Blumen des Frühlings an!

Da die Krankheitsgeschichte meines Viktors mich
zu schmerzhaft an die versteckten Gifte im menschli¬
chen Herzen erinnert: so soll sie bald zu Ende seyn.
Es gefiel ihm, daß er durch das Herumflattern im¬
mer galanter und kälter gegen alle weibliche Perso¬
nen wurde -- das Seil der Liebe schneidet weniger
tief in den Busen ein, wenn es in Fäden und Flok¬
ken ausgezupft um alle flattert. Er, der wie sein
Namensvetter der h. Sebastian ganz mit (Amors)
Pfeilen voll geschossen aussah, ließ Pfeile anderer
Art gegen das ganze Geschlecht, wiewol nie gegen
Individuen fliegen. In diesem letztern Umstand war
seine Bitterkeit von Mazens seiner unterschieden, der
z. B. von seiner eignen Base, die ihre Schönheit
durch späte Blattern verloren, sagen konnte: "ihre

Betragen zu kalt gegen Gute, zu tolerant gegen
Schlimme.

Noch dazu ſchwieg ſein Emanuel und ſchloß wie
die Natur, ſeine Blumen in ſich ein. — Wen die
Natur ernaͤhrt und erhebt, der iſt im Winter nicht
ſo gut als im Sommer: die Erde hatte jetzt ihren
Pudermantel von Schnee um und den ganzen Tag
die Nachtkleidung an, die Baͤume hatten ihre Kno¬
ſpen in die Flocken-Papilloten gewickelt und die
Aeſte ſahen wie Haarnadeln aus — Viktors Seele
war wie die Natur; o! der Himmel waͤrme bald in
beiden die Blumen des Fruͤhlings an!

Da die Krankheitsgeſchichte meines Viktors mich
zu ſchmerzhaft an die verſteckten Gifte im menſchli¬
chen Herzen erinnert: ſo ſoll ſie bald zu Ende ſeyn.
Es gefiel ihm, daß er durch das Herumflattern im¬
mer galanter und kaͤlter gegen alle weibliche Perſo¬
nen wurde — das Seil der Liebe ſchneidet weniger
tief in den Buſen ein, wenn es in Faͤden und Flok¬
ken ausgezupft um alle flattert. Er, der wie ſein
Namensvetter der h. Sebaſtian ganz mit (Amors)
Pfeilen voll geſchoſſen ausſah, ließ Pfeile anderer
Art gegen das ganze Geſchlecht, wiewol nie gegen
Individuen fliegen. In dieſem letztern Umſtand war
ſeine Bitterkeit von Mazens ſeiner unterſchieden, der
z. B. von ſeiner eignen Baſe, die ihre Schoͤnheit
durch ſpaͤte Blattern verloren, ſagen konnte: »ihre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0214" n="204"/>
Betragen zu kalt gegen Gute, zu tolerant gegen<lb/>
Schlimme.</p><lb/>
          <p>Noch dazu &#x017F;chwieg &#x017F;ein Emanuel und &#x017F;chloß wie<lb/>
die Natur, &#x017F;eine Blumen in &#x017F;ich ein. &#x2014; Wen die<lb/>
Natur erna&#x0364;hrt und erhebt, der i&#x017F;t im Winter nicht<lb/>
&#x017F;o gut als im Sommer: die Erde hatte jetzt ihren<lb/>
Pudermantel von Schnee um und den ganzen Tag<lb/>
die Nachtkleidung an, die Ba&#x0364;ume hatten ihre Kno¬<lb/>
&#x017F;pen in die Flocken-Papilloten gewickelt und die<lb/>
Ae&#x017F;te &#x017F;ahen wie Haarnadeln aus &#x2014; Viktors Seele<lb/>
war wie die Natur; o! der Himmel wa&#x0364;rme bald in<lb/>
beiden die Blumen des Fru&#x0364;hlings an!</p><lb/>
          <p>Da die Krankheitsge&#x017F;chichte meines Viktors mich<lb/>
zu &#x017F;chmerzhaft an die ver&#x017F;teckten Gifte im men&#x017F;chli¬<lb/>
chen Herzen erinnert: &#x017F;o &#x017F;oll &#x017F;ie bald zu Ende &#x017F;eyn.<lb/>
Es gefiel ihm, daß er durch das Herumflattern im¬<lb/>
mer galanter und ka&#x0364;lter gegen alle weibliche Per&#x017F;<lb/>
nen wurde &#x2014; das Seil der Liebe &#x017F;chneidet weniger<lb/>
tief in den Bu&#x017F;en ein, wenn es in Fa&#x0364;den und Flok¬<lb/>
ken ausgezupft um alle flattert. Er, der wie &#x017F;ein<lb/>
Namensvetter der h. Seba&#x017F;tian ganz mit (Amors)<lb/>
Pfeilen voll ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en aus&#x017F;ah, ließ Pfeile anderer<lb/>
Art gegen das ganze Ge&#x017F;chlecht, wiewol nie gegen<lb/>
Individuen fliegen. In die&#x017F;em letztern Um&#x017F;tand war<lb/>
&#x017F;eine Bitterkeit von Mazens &#x017F;einer unter&#x017F;chieden, der<lb/>
z. B. von &#x017F;einer eignen Ba&#x017F;e, die ihre Scho&#x0364;nheit<lb/>
durch &#x017F;pa&#x0364;te Blattern verloren, &#x017F;agen konnte: »ihre<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0214] Betragen zu kalt gegen Gute, zu tolerant gegen Schlimme. Noch dazu ſchwieg ſein Emanuel und ſchloß wie die Natur, ſeine Blumen in ſich ein. — Wen die Natur ernaͤhrt und erhebt, der iſt im Winter nicht ſo gut als im Sommer: die Erde hatte jetzt ihren Pudermantel von Schnee um und den ganzen Tag die Nachtkleidung an, die Baͤume hatten ihre Kno¬ ſpen in die Flocken-Papilloten gewickelt und die Aeſte ſahen wie Haarnadeln aus — Viktors Seele war wie die Natur; o! der Himmel waͤrme bald in beiden die Blumen des Fruͤhlings an! Da die Krankheitsgeſchichte meines Viktors mich zu ſchmerzhaft an die verſteckten Gifte im menſchli¬ chen Herzen erinnert: ſo ſoll ſie bald zu Ende ſeyn. Es gefiel ihm, daß er durch das Herumflattern im¬ mer galanter und kaͤlter gegen alle weibliche Perſo¬ nen wurde — das Seil der Liebe ſchneidet weniger tief in den Buſen ein, wenn es in Faͤden und Flok¬ ken ausgezupft um alle flattert. Er, der wie ſein Namensvetter der h. Sebaſtian ganz mit (Amors) Pfeilen voll geſchoſſen ausſah, ließ Pfeile anderer Art gegen das ganze Geſchlecht, wiewol nie gegen Individuen fliegen. In dieſem letztern Umſtand war ſeine Bitterkeit von Mazens ſeiner unterſchieden, der z. B. von ſeiner eignen Baſe, die ihre Schoͤnheit durch ſpaͤte Blattern verloren, ſagen konnte: »ihre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/214
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/214>, abgerufen am 06.05.2024.