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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809.

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Lehre, die hypochondrische Berechnung über die
Einbusse einiger Lebensstunden bey jedem ein-
zelnen kleinen Opfer für den andern durchzu-
machen, -- die Tugend liefe auf Hufelands
Rath länger zu leben hinaus, und man müßte
Arzneykunde studieren um nicht verdammt zu
werden. -- Wenn auch gleich einige Philoso-
phen die Tugend wie einen Prozeß nicht gern
mit der Exekution anfangen, sondern gelas-
sener mit münd- und schriftlichen Verhand-
lungen: so kenn' ich wieder andere, z. B. Sie
und Regulus, welche wie dieser in der Wahl
zwischen gewissem Tode und Meineide, doch
lieber die Abkürzung ihres moralischen Spiel-
raumes erwählten. Aber wozu dieß alles?
Entweder ist von äußerem Erfolge die Rede
-- sodann kann die Innerlichkeit (Intension)
des Lebens, die Ausdehnung (Extension) des-
selben so freygebig vergüten, daß eine Todes-
stunde, welche Völker beseelt, und begeistert,
ein kaltes thatenloses Jahrzehnd überwiegt --
oder es wird vom Heiligsten gesprochen; dann
setzt die Sittlichkeit, hoff' ich nicht Vernichtung,

Lehre, die hypochondriſche Berechnung uͤber die
Einbuſſe einiger Lebensſtunden bey jedem ein-
zelnen kleinen Opfer fuͤr den andern durchzu-
machen, — die Tugend liefe auf Hufelands
Rath laͤnger zu leben hinaus, und man muͤßte
Arzneykunde ſtudieren um nicht verdammt zu
werden. — Wenn auch gleich einige Philoſo-
phen die Tugend wie einen Prozeß nicht gern
mit der Exekution anfangen, ſondern gelaſ-
ſener mit muͤnd- und ſchriftlichen Verhand-
lungen: ſo kenn’ ich wieder andere, z. B. Sie
und Regulus, welche wie dieſer in der Wahl
zwiſchen gewiſſem Tode und Meineide, doch
lieber die Abkürzung ihres moraliſchen Spiel-
raumes erwaͤhlten. Aber wozu dieß alles?
Entweder iſt von äußerem Erfolge die Rede
— ſodann kann die Innerlichkeit (Intenſion)
des Lebens, die Ausdehnung (Extenſion) deſ-
ſelben ſo freygebig verguͤten, daß eine Todes-
ſtunde, welche Voͤlker beſeelt, und begeiſtert,
ein kaltes thatenloſes Jahrzehnd uͤberwiegt —
oder es wird vom Heiligſten geſprochen; dann
ſetzt die Sittlichkeit, hoff’ ich nicht Vernichtung,

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[212/0218] Lehre, die hypochondriſche Berechnung uͤber die Einbuſſe einiger Lebensſtunden bey jedem ein- zelnen kleinen Opfer fuͤr den andern durchzu- machen, — die Tugend liefe auf Hufelands Rath laͤnger zu leben hinaus, und man muͤßte Arzneykunde ſtudieren um nicht verdammt zu werden. — Wenn auch gleich einige Philoſo- phen die Tugend wie einen Prozeß nicht gern mit der Exekution anfangen, ſondern gelaſ- ſener mit muͤnd- und ſchriftlichen Verhand- lungen: ſo kenn’ ich wieder andere, z. B. Sie und Regulus, welche wie dieſer in der Wahl zwiſchen gewiſſem Tode und Meineide, doch lieber die Abkürzung ihres moraliſchen Spiel- raumes erwaͤhlten. Aber wozu dieß alles? Entweder iſt von äußerem Erfolge die Rede — ſodann kann die Innerlichkeit (Intenſion) des Lebens, die Ausdehnung (Extenſion) deſ- ſelben ſo freygebig verguͤten, daß eine Todes- ſtunde, welche Voͤlker beſeelt, und begeiſtert, ein kaltes thatenloſes Jahrzehnd uͤberwiegt — oder es wird vom Heiligſten geſprochen; dann ſetzt die Sittlichkeit, hoff’ ich nicht Vernichtung,

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/218>, abgerufen am 30.04.2024.