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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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storbenen, sondern bloß am traurenden Freunde
Antheil nahm.

Der gute Medizinalrath knülte das Gesang¬
buch, das unter seiner Hand lag, gewaltsam zu¬
sammen; er hörte nicht das Abreiten des Fürsten,
der nur drei Minuten da gewesen, um sich den
Todtenschein zu holen, aber jedes Wort des Pa¬
stors hört' er, um von der neuesten Krankheits¬
geschichte seines Freundes etwas zu erfahren: al¬
lein er vernahm nichts als seine Todesart (hitzi¬
ges Fieber.) Endlich war alles vorbei und er gieng
stumm und zwischen die Trauerkerzen hineinstar¬
rend, auf die Bahre zu, schob ohne Blick und
Laut was ihn hindern konnte weg mit der linken
Hand und zuckte hin nach des Schläfers seiner mit
der rechten. Als er endlich die Hand, die Alpen
und Jahre von seiner abgerissen hatten, jezt da¬
mit umschlossen hatte, ohne doch dem näher zu
seyn, nach dem er sich so lange gesehnet hatte,
und ohne die Freude des Wiederfindens: so war
sein Schmerz noch dicht, dunkel und warf sich
schwer über seine ganze Seele her, ohne eine Ge¬
stallt zu haben. -- Aber als er in jener Hand
zwei Warzen wieder fand, die er sonst bei ihrem

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ſtorbenen, ſondern bloß am traurenden Freunde
Antheil nahm.

Der gute Medizinalrath knuͤlte das Geſang¬
buch, das unter ſeiner Hand lag, gewaltſam zu¬
ſammen; er hoͤrte nicht das Abreiten des Fuͤrſten,
der nur drei Minuten da geweſen, um ſich den
Todtenſchein zu holen, aber jedes Wort des Pa¬
ſtors hoͤrt' er, um von der neueſten Krankheits¬
geſchichte ſeines Freundes etwas zu erfahren: al¬
lein er vernahm nichts als ſeine Todesart (hitzi¬
ges Fieber.) Endlich war alles vorbei und er gieng
ſtumm und zwiſchen die Trauerkerzen hineinſtar¬
rend, auf die Bahre zu, ſchob ohne Blick und
Laut was ihn hindern konnte weg mit der linken
Hand und zuckte hin nach des Schlaͤfers ſeiner mit
der rechten. Als er endlich die Hand, die Alpen
und Jahre von ſeiner abgeriſſen hatten, jezt da¬
mit umſchloſſen hatte, ohne doch dem naͤher zu
ſeyn, nach dem er ſich ſo lange geſehnet hatte,
und ohne die Freude des Wiederfindens: ſo war
ſein Schmerz noch dicht, dunkel und warf ſich
ſchwer uͤber ſeine ganze Seele her, ohne eine Ge¬
ſtallt zu haben. — Aber als er in jener Hand
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[115/0125] ſtorbenen, ſondern bloß am traurenden Freunde Antheil nahm. Der gute Medizinalrath knuͤlte das Geſang¬ buch, das unter ſeiner Hand lag, gewaltſam zu¬ ſammen; er hoͤrte nicht das Abreiten des Fuͤrſten, der nur drei Minuten da geweſen, um ſich den Todtenſchein zu holen, aber jedes Wort des Pa¬ ſtors hoͤrt' er, um von der neueſten Krankheits¬ geſchichte ſeines Freundes etwas zu erfahren: al¬ lein er vernahm nichts als ſeine Todesart (hitzi¬ ges Fieber.) Endlich war alles vorbei und er gieng ſtumm und zwiſchen die Trauerkerzen hineinſtar¬ rend, auf die Bahre zu, ſchob ohne Blick und Laut was ihn hindern konnte weg mit der linken Hand und zuckte hin nach des Schlaͤfers ſeiner mit der rechten. Als er endlich die Hand, die Alpen und Jahre von ſeiner abgeriſſen hatten, jezt da¬ mit umſchloſſen hatte, ohne doch dem naͤher zu ſeyn, nach dem er ſich ſo lange geſehnet hatte, und ohne die Freude des Wiederfindens: ſo war ſein Schmerz noch dicht, dunkel und warf ſich ſchwer uͤber ſeine ganze Seele her, ohne eine Ge¬ ſtallt zu haben. — Aber als er in jener Hand zwei Warzen wieder fand, die er ſonſt bei ihrem H 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/125>, abgerufen am 30.04.2024.