Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich schauete gerade zum Sternenhimmel auf;
aber er erhellet meine Seele nicht mehr wie sonst:
seine Sonnen und Erden verwittern ja eben so wie
die, worein ich zerfalle. Ob eine Minute den Ma¬
den-Zahn, oder ein Jahrtausend den Haifisch-
Zahn, an eine Welt setze: das ist einerlei, zer¬
malmt wird sie doch. Nicht bloß diese Erde ist ei¬
tel, sondern alles, das neben ihr durch den Him¬
mel flieht und das sich nur in der Größe von ihr
trennt: Und du holde Sonne selbst, die du wie
eine Mutter wenn das Kind gute Nacht nimmt,
uns so zärtlich ansiehest, wenn uns die Erde weg¬
trägt und den Vorhang der Nacht um unsre Bet¬
ten zieht, auch du fällest einmal in deine Nacht
und in dein Bette und brauchst eine Sonne, um
Strahlen zu haben! --

Es ist also sonderbar, daß man gar die sieben
Planeten und ihre Tochterländer zu sieben Blu¬
menkübeln macht, in die uns der Tod steckt, wie
etwann der Amerikaner nach dem Tode nach Euro¬
pa zu fahren hoft. Die Europäer würden seinen
Wahn erwiedern und Amerika für die Walhalla
der Abgeschiednen halten, wenn nur unsre zweite
Halbkugel statt 1,000 Meilen, etwann 60,000 wie

K 2

Ich ſchauete gerade zum Sternenhimmel auf;
aber er erhellet meine Seele nicht mehr wie ſonſt:
ſeine Sonnen und Erden verwittern ja eben ſo wie
die, worein ich zerfalle. Ob eine Minute den Ma¬
den-Zahn, oder ein Jahrtauſend den Haifiſch-
Zahn, an eine Welt ſetze: das iſt einerlei, zer¬
malmt wird ſie doch. Nicht bloß dieſe Erde iſt ei¬
tel, ſondern alles, das neben ihr durch den Him¬
mel flieht und das ſich nur in der Groͤße von ihr
trennt: Und du holde Sonne ſelbſt, die du wie
eine Mutter wenn das Kind gute Nacht nimmt,
uns ſo zaͤrtlich anſieheſt, wenn uns die Erde weg¬
traͤgt und den Vorhang der Nacht um unſre Bet¬
ten zieht, auch du faͤlleſt einmal in deine Nacht
und in dein Bette und brauchſt eine Sonne, um
Strahlen zu haben! —

Es iſt alſo ſonderbar, daß man gar die ſieben
Planeten und ihre Tochterlaͤnder zu ſieben Blu¬
menkuͤbeln macht, in die uns der Tod ſteckt, wie
etwann der Amerikaner nach dem Tode nach Euro¬
pa zu fahren hoft. Die Europaͤer wuͤrden ſeinen
Wahn erwiedern und Amerika fuͤr die Walhalla
der Abgeſchiednen halten, wenn nur unſre zweite
Halbkugel ſtatt 1,000 Meilen, etwann 60,000 wie

K 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0157" n="147"/>
          <p>Ich &#x017F;chauete gerade zum Sternenhimmel auf;<lb/>
aber er erhellet meine Seele nicht mehr wie &#x017F;on&#x017F;t:<lb/>
&#x017F;eine Sonnen und Erden verwittern ja eben &#x017F;o wie<lb/>
die, worein ich zerfalle. Ob eine Minute den Ma¬<lb/>
den-Zahn, oder ein Jahrtau&#x017F;end den Haifi&#x017F;ch-<lb/>
Zahn, an eine Welt &#x017F;etze: das i&#x017F;t einerlei, zer¬<lb/>
malmt wird &#x017F;ie doch. Nicht bloß die&#x017F;e Erde i&#x017F;t ei¬<lb/>
tel, &#x017F;ondern alles, das neben ihr durch den Him¬<lb/>
mel flieht und das &#x017F;ich nur in der Gro&#x0364;ße von ihr<lb/>
trennt: Und du holde Sonne &#x017F;elb&#x017F;t, die du wie<lb/>
eine Mutter wenn das Kind gute Nacht nimmt,<lb/>
uns &#x017F;o za&#x0364;rtlich an&#x017F;iehe&#x017F;t, wenn uns die Erde weg¬<lb/>
tra&#x0364;gt und den Vorhang der Nacht um un&#x017F;re Bet¬<lb/>
ten zieht, auch du fa&#x0364;lle&#x017F;t einmal in deine Nacht<lb/>
und in dein Bette und brauch&#x017F;t eine Sonne, um<lb/>
Strahlen zu haben! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t al&#x017F;o &#x017F;onderbar, daß man gar die &#x017F;ieben<lb/>
Planeten und ihre Tochterla&#x0364;nder zu &#x017F;ieben Blu¬<lb/>
menku&#x0364;beln macht, in die uns der Tod &#x017F;teckt, wie<lb/>
etwann der Amerikaner nach dem Tode nach Euro¬<lb/>
pa zu fahren hoft. Die Europa&#x0364;er wu&#x0364;rden &#x017F;einen<lb/>
Wahn erwiedern und Amerika fu&#x0364;r die Walhalla<lb/>
der Abge&#x017F;chiednen halten, wenn nur un&#x017F;re zweite<lb/>
Halbkugel &#x017F;tatt 1,000 Meilen, etwann 60,000 wie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0157] Ich ſchauete gerade zum Sternenhimmel auf; aber er erhellet meine Seele nicht mehr wie ſonſt: ſeine Sonnen und Erden verwittern ja eben ſo wie die, worein ich zerfalle. Ob eine Minute den Ma¬ den-Zahn, oder ein Jahrtauſend den Haifiſch- Zahn, an eine Welt ſetze: das iſt einerlei, zer¬ malmt wird ſie doch. Nicht bloß dieſe Erde iſt ei¬ tel, ſondern alles, das neben ihr durch den Him¬ mel flieht und das ſich nur in der Groͤße von ihr trennt: Und du holde Sonne ſelbſt, die du wie eine Mutter wenn das Kind gute Nacht nimmt, uns ſo zaͤrtlich anſieheſt, wenn uns die Erde weg¬ traͤgt und den Vorhang der Nacht um unſre Bet¬ ten zieht, auch du faͤlleſt einmal in deine Nacht und in dein Bette und brauchſt eine Sonne, um Strahlen zu haben! — Es iſt alſo ſonderbar, daß man gar die ſieben Planeten und ihre Tochterlaͤnder zu ſieben Blu¬ menkuͤbeln macht, in die uns der Tod ſteckt, wie etwann der Amerikaner nach dem Tode nach Euro¬ pa zu fahren hoft. Die Europaͤer wuͤrden ſeinen Wahn erwiedern und Amerika fuͤr die Walhalla der Abgeſchiednen halten, wenn nur unſre zweite Halbkugel ſtatt 1,000 Meilen, etwann 60,000 wie K 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/157
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/157>, abgerufen am 28.04.2024.