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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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die bekannte des Mondes entfernt von uns hienge.
O mein Geist begehrt etwas anders als eine aufge¬
wärmte neu aufgelegte Erde, eine andre Sätti¬
gung als auf irgend einem Koth- oder Feuer-Klum¬
pen des Himmels wächset, ein längeres Leben als
ein zerbröckelnder Planet trägt; aber ich begreife
nichts davon . . .

Komm nur recht bald zu meinem Kopfe, dem
du die eine Locke genommen: so lange ich lebe, soll
die Seite an der du den Lockenraub begangen,
zum Andenken, was ich war und werde, ohne
Zierde bleiben etc. Ottomar."


Dichtende Genies sind in der Jugend die Re¬
negaten und Verfolger des Geschmacks, später
aber die eifrigsten Proselyten und Apostel desselben
und den verzerrenden, mikroskopischen und makros¬
kopischen Holspiegel schleift das Alter zu einem eb¬
nen ab, der die Natur bloß verdoppelt, indem
er sie mahlt. So werden die handelnden und
empfindenden Genies aus Feinden der Grund¬
sätze und aus Stürmern der Tugend größere Freun¬
de von beiden als fehlerlosere Menschen niemals
werden. Ottomar wird einmal die übertreffen, die

die bekannte des Mondes entfernt von uns hienge.
O mein Geiſt begehrt etwas anders als eine aufge¬
waͤrmte neu aufgelegte Erde, eine andre Saͤtti¬
gung als auf irgend einem Koth- oder Feuer-Klum¬
pen des Himmels waͤchſet, ein laͤngeres Leben als
ein zerbroͤckelnder Planet traͤgt; aber ich begreife
nichts davon . . .

Komm nur recht bald zu meinem Kopfe, dem
du die eine Locke genommen: ſo lange ich lebe, ſoll
die Seite an der du den Lockenraub begangen,
zum Andenken, was ich war und werde, ohne
Zierde bleiben ꝛc. Ottomar.“


Dichtende Genies ſind in der Jugend die Re¬
negaten und Verfolger des Geſchmacks, ſpaͤter
aber die eifrigſten Proſelyten und Apoſtel deſſelben
und den verzerrenden, mikroſkopiſchen und makroſ¬
kopiſchen Holſpiegel ſchleift das Alter zu einem eb¬
nen ab, der die Natur bloß verdoppelt, indem
er ſie mahlt. So werden die handelnden und
empfindenden Genies aus Feinden der Grund¬
ſaͤtze und aus Stuͤrmern der Tugend groͤßere Freun¬
de von beiden als fehlerloſere Menſchen niemals
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[148/0158] die bekannte des Mondes entfernt von uns hienge. O mein Geiſt begehrt etwas anders als eine aufge¬ waͤrmte neu aufgelegte Erde, eine andre Saͤtti¬ gung als auf irgend einem Koth- oder Feuer-Klum¬ pen des Himmels waͤchſet, ein laͤngeres Leben als ein zerbroͤckelnder Planet traͤgt; aber ich begreife nichts davon . . . Komm nur recht bald zu meinem Kopfe, dem du die eine Locke genommen: ſo lange ich lebe, ſoll die Seite an der du den Lockenraub begangen, zum Andenken, was ich war und werde, ohne Zierde bleiben ꝛc. Ottomar.“ Dichtende Genies ſind in der Jugend die Re¬ negaten und Verfolger des Geſchmacks, ſpaͤter aber die eifrigſten Proſelyten und Apoſtel deſſelben und den verzerrenden, mikroſkopiſchen und makroſ¬ kopiſchen Holſpiegel ſchleift das Alter zu einem eb¬ nen ab, der die Natur bloß verdoppelt, indem er ſie mahlt. So werden die handelnden und empfindenden Genies aus Feinden der Grund¬ ſaͤtze und aus Stuͤrmern der Tugend groͤßere Freun¬ de von beiden als fehlerloſere Menſchen niemals werden. Ottomar wird einmal die uͤbertreffen, die

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/158>, abgerufen am 27.04.2024.