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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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man nur in heftigen Karakteren in so unwidersteh¬
lichem Grade findet, und sagte mit erhaben-leiser
Stimme: "er feiere den Todestag aller Jahrszei¬
ten und heute wäre des Nachsommers seiner." Sie
kamen, indem sie ins Schloß giengen, vor dem
Gärtner vorbei und er nahm den Hut nicht ab --
ferner vor dem leeren Kleid auf dem Grab und es
lag noch unter den Blumen und vor dem Klavieri¬
sten, der noch das Lied spielte: Jüngling, den
Bach der Zeit etc. Da wir das Feierliche nur in
Büchern, selten im Leben finden: so wirkt es im
letztern nachher desto stärker.

Man muß noch merken, daß in Ottomar der
Ausdruck der stärksten Gefühle durch eine gewisse
Sanftheit, womit sein Weltumgang und sein Al¬
ter sie brach, unwiderstehlich in den stillen Stru¬
del zog. Er öfnete -- Kinder waren die Lakaien --
ein Zimmer des dritten Stockwerks. Die Hauptsa¬
che
waren nicht darin die Gemälde mit schwarzen
Gründen und weissen Särgen, oder die Worte über
den Särgen: "darin ist mein Vater, darin meine
Mutter, darin meine Frühlinge," -- auch der
sehr große gemalte Sarg nicht, worüber stand:
"darin liegen sechs Jahrtausende mit allen ihren

man nur in heftigen Karakteren in ſo unwiderſteh¬
lichem Grade findet, und ſagte mit erhaben-leiſer
Stimme: „er feiere den Todestag aller Jahrszei¬
ten und heute waͤre des Nachſommers ſeiner.“ Sie
kamen, indem ſie ins Schloß giengen, vor dem
Gaͤrtner vorbei und er nahm den Hut nicht ab —
ferner vor dem leeren Kleid auf dem Grab und es
lag noch unter den Blumen und vor dem Klavieri¬
ſten, der noch das Lied ſpielte: Juͤngling, den
Bach der Zeit ꝛc. Da wir das Feierliche nur in
Buͤchern, ſelten im Leben finden: ſo wirkt es im
letztern nachher deſto ſtaͤrker.

Man muß noch merken, daß in Ottomar der
Ausdruck der ſtaͤrkſten Gefuͤhle durch eine gewiſſe
Sanftheit, womit ſein Weltumgang und ſein Al¬
ter ſie brach, unwiderſtehlich in den ſtillen Stru¬
del zog. Er oͤfnete — Kinder waren die Lakaien —
ein Zimmer des dritten Stockwerks. Die Hauptſa¬
che
waren nicht darin die Gemaͤlde mit ſchwarzen
Gruͤnden und weiſſen Saͤrgen, oder die Worte uͤber
den Saͤrgen: „darin iſt mein Vater, darin meine
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[168/0178] man nur in heftigen Karakteren in ſo unwiderſteh¬ lichem Grade findet, und ſagte mit erhaben-leiſer Stimme: „er feiere den Todestag aller Jahrszei¬ ten und heute waͤre des Nachſommers ſeiner.“ Sie kamen, indem ſie ins Schloß giengen, vor dem Gaͤrtner vorbei und er nahm den Hut nicht ab — ferner vor dem leeren Kleid auf dem Grab und es lag noch unter den Blumen und vor dem Klavieri¬ ſten, der noch das Lied ſpielte: Juͤngling, den Bach der Zeit ꝛc. Da wir das Feierliche nur in Buͤchern, ſelten im Leben finden: ſo wirkt es im letztern nachher deſto ſtaͤrker. Man muß noch merken, daß in Ottomar der Ausdruck der ſtaͤrkſten Gefuͤhle durch eine gewiſſe Sanftheit, womit ſein Weltumgang und ſein Al¬ ter ſie brach, unwiderſtehlich in den ſtillen Stru¬ del zog. Er oͤfnete — Kinder waren die Lakaien — ein Zimmer des dritten Stockwerks. Die Hauptſa¬ che waren nicht darin die Gemaͤlde mit ſchwarzen Gruͤnden und weiſſen Saͤrgen, oder die Worte uͤber den Saͤrgen: „darin iſt mein Vater, darin meine Mutter, darin meine Fruͤhlinge,“ — auch der ſehr große gemalte Sarg nicht, woruͤber ſtand: „darin liegen ſechs Jahrtauſende mit allen ihren

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/178>, abgerufen am 27.04.2024.