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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Menschen." -- Sondern das Wichtigste war das
Ungemalte, wovor sich Gustav tief bückte; eine
schöne Frau, die sich zu einem unsern Gustav fast
ähnlichen Kinde herabneigte, weil es ihr etwas lei¬
se sagen wollte; ferner bückt' er sich vor einem al¬
ten Offizier in Uniform, der eine zerrissene Land¬
karte, und vor einem schönen jungen Italiener der
ein fliegendes Stammbuch hielt. Das Kind hatte
einen Vergißmeinnicht-Strauß auf der Brust, die
Frau und die zwei Männer hatten einen schwarzen
Strauß. Aber was noch mehr ihn überraschte, war
der Doktor Fenk am Fenster, mit einer Rose an
der Brust. -- --

Gustav eilte ihm zu; aber Ottomar hielt ihn:
"es ist alles von Wachs," sagt' er nicht mit einem
kalten gegen das Schicksal erbitterten Ton, son¬
dern mit einem ergebenen. "Alles was mir in mei¬
nem Leben Liebe und Freude gab, steht und bleibt
in diesem Zimmer -- wer gestorben ist, dem gab
ich schwarze Blumen -- bei meinem verlornen Kin¬
de weiß ichs noch nicht, und seine Kleider liegen
draussen im Garten . . . . O wem Gott Ruhe in
den Busen schickt, daß sie das nackte Herz umwik¬
kele und seine Zuckungen besänftige, dem ist so

Menſchen.“ — Sondern das Wichtigſte war das
Ungemalte, wovor ſich Guſtav tief buͤckte; eine
ſchoͤne Frau, die ſich zu einem unſern Guſtav faſt
aͤhnlichen Kinde herabneigte, weil es ihr etwas lei¬
ſe ſagen wollte; ferner buͤckt' er ſich vor einem al¬
ten Offizier in Uniform, der eine zerriſſene Land¬
karte, und vor einem ſchoͤnen jungen Italiener der
ein fliegendes Stammbuch hielt. Das Kind hatte
einen Vergißmeinnicht-Strauß auf der Bruſt, die
Frau und die zwei Maͤnner hatten einen ſchwarzen
Strauß. Aber was noch mehr ihn uͤberraſchte, war
der Doktor Fenk am Fenſter, mit einer Roſe an
der Bruſt. — —

Guſtav eilte ihm zu; aber Ottomar hielt ihn:
„es iſt alles von Wachs,“ ſagt' er nicht mit einem
kalten gegen das Schickſal erbitterten Ton, ſon¬
dern mit einem ergebenen. „Alles was mir in mei¬
nem Leben Liebe und Freude gab, ſteht und bleibt
in dieſem Zimmer — wer geſtorben iſt, dem gab
ich ſchwarze Blumen — bei meinem verlornen Kin¬
de weiß ichs noch nicht, und ſeine Kleider liegen
drauſſen im Garten . . . . O wem Gott Ruhe in
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[169/0179] Menſchen.“ — Sondern das Wichtigſte war das Ungemalte, wovor ſich Guſtav tief buͤckte; eine ſchoͤne Frau, die ſich zu einem unſern Guſtav faſt aͤhnlichen Kinde herabneigte, weil es ihr etwas lei¬ ſe ſagen wollte; ferner buͤckt' er ſich vor einem al¬ ten Offizier in Uniform, der eine zerriſſene Land¬ karte, und vor einem ſchoͤnen jungen Italiener der ein fliegendes Stammbuch hielt. Das Kind hatte einen Vergißmeinnicht-Strauß auf der Bruſt, die Frau und die zwei Maͤnner hatten einen ſchwarzen Strauß. Aber was noch mehr ihn uͤberraſchte, war der Doktor Fenk am Fenſter, mit einer Roſe an der Bruſt. — — Guſtav eilte ihm zu; aber Ottomar hielt ihn: „es iſt alles von Wachs,“ ſagt' er nicht mit einem kalten gegen das Schickſal erbitterten Ton, ſon¬ dern mit einem ergebenen. „Alles was mir in mei¬ nem Leben Liebe und Freude gab, ſteht und bleibt in dieſem Zimmer — wer geſtorben iſt, dem gab ich ſchwarze Blumen — bei meinem verlornen Kin¬ de weiß ichs noch nicht, und ſeine Kleider liegen drauſſen im Garten . . . . O wem Gott Ruhe in den Buſen ſchickt, daß ſie das nackte Herz umwik¬ kele und ſeine Zuckungen beſaͤnftige, dem iſt ſo

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/179>, abgerufen am 28.04.2024.