Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

nieder gebogen. An solchen Hof-Poeten und an
Ohrwürmern sind die Flügel gleichsam unsicht¬
bar und winzig, aber beide finden leichter die We¬
ge zum Ohr. An englischen Gedichten ist nichts;
hingegen die meisten französischen riechen nicht nach
der Studier- und Spaarlampe, sondern eher nach
parfümierten Strumpfbändern, Handschuhen u. s.
w. und je weniger sie haben was den Menschen
interessiert, desto mehr haben sie was den Welt¬
mann reizt, weil sie nicht mehr die Natur und
Himmel und Hölle sondern ein Paar Visitenzim¬
mer abmahlen und so nicht ungeschickt in immer
engere Windungen des Schneckenhauses sich zurück¬
drängen.

Oefel war zugleich Theater-Dichter, Akteur
und Rollen-Schreiber. Er zog aus dem Drama
die Rolle Beatens heraus, die er mit den feinsten
Anspielungen auf ihr gegenseitiges Liebesverständ¬
niß (dacht' er,) oder auf ihr einseitiges (denk' ich)
in die Welt gesetzet hatte. Die zärtlichsten Winke
hatt' er in den Stellen wo er mit Beata zusam¬
men spielte, hinein versteckt. Er zog deswegen
unter manche feine Liebeserklärung und Empfin¬
dung bei dem Abschreiben eine exegetische Linie und

nieder gebogen. An ſolchen Hof-Poeten und an
Ohrwuͤrmern ſind die Fluͤgel gleichſam unſicht¬
bar und winzig, aber beide finden leichter die We¬
ge zum Ohr. An engliſchen Gedichten iſt nichts;
hingegen die meiſten franzoͤſiſchen riechen nicht nach
der Studier- und Spaarlampe, ſondern eher nach
parfuͤmierten Strumpfbaͤndern, Handſchuhen u. ſ.
w. und je weniger ſie haben was den Menſchen
intereſſiert, deſto mehr haben ſie was den Welt¬
mann reizt, weil ſie nicht mehr die Natur und
Himmel und Hoͤlle ſondern ein Paar Viſitenzim¬
mer abmahlen und ſo nicht ungeſchickt in immer
engere Windungen des Schneckenhauſes ſich zuruͤck¬
draͤngen.

Oefel war zugleich Theater-Dichter, Akteur
und Rollen-Schreiber. Er zog aus dem Drama
die Rolle Beatens heraus, die er mit den feinſten
Anſpielungen auf ihr gegenſeitiges Liebesverſtaͤnd¬
niß (dacht' er,) oder auf ihr einſeitiges (denk' ich)
in die Welt geſetzet hatte. Die zaͤrtlichſten Winke
hatt' er in den Stellen wo er mit Beata zuſam¬
men ſpielte, hinein verſteckt. Er zog deswegen
unter manche feine Liebeserklaͤrung und Empfin¬
dung bei dem Abſchreiben eine exegetiſche Linie und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0193" n="183"/>
nieder gebogen. An &#x017F;olchen Hof-Poeten und an<lb/><hi rendition="#g">Ohrwu&#x0364;rmern</hi> &#x017F;ind die Flu&#x0364;gel gleich&#x017F;am un&#x017F;icht¬<lb/>
bar und winzig, aber beide finden leichter die We¬<lb/>
ge zum <hi rendition="#g">Ohr</hi>. An engli&#x017F;chen Gedichten i&#x017F;t nichts;<lb/>
hingegen die mei&#x017F;ten franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen riechen nicht nach<lb/>
der Studier- und Spaarlampe, &#x017F;ondern eher nach<lb/>
parfu&#x0364;mierten Strumpfba&#x0364;ndern, Hand&#x017F;chuhen u. &#x017F;.<lb/>
w. und je weniger &#x017F;ie haben was den Men&#x017F;chen<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;iert, de&#x017F;to mehr haben &#x017F;ie was den Welt¬<lb/>
mann reizt, weil &#x017F;ie nicht mehr die Natur und<lb/>
Himmel und Ho&#x0364;lle &#x017F;ondern ein Paar Vi&#x017F;itenzim¬<lb/>
mer abmahlen und &#x017F;o nicht unge&#x017F;chickt in immer<lb/>
engere Windungen des Schneckenhau&#x017F;es &#x017F;ich zuru&#x0364;ck¬<lb/>
dra&#x0364;ngen.</p><lb/>
            <p>Oefel war zugleich Theater-Dichter, Akteur<lb/>
und Rollen-Schreiber. Er zog aus dem Drama<lb/>
die Rolle Beatens heraus, die er mit den fein&#x017F;ten<lb/>
An&#x017F;pielungen auf ihr gegen&#x017F;eitiges Liebesver&#x017F;ta&#x0364;nd¬<lb/>
niß (dacht' er,) oder auf ihr ein&#x017F;eitiges (denk' ich)<lb/>
in die Welt ge&#x017F;etzet hatte. Die za&#x0364;rtlich&#x017F;ten Winke<lb/>
hatt' er in <hi rendition="#g">den</hi> Stellen wo er mit Beata zu&#x017F;am¬<lb/>
men &#x017F;pielte, hinein ver&#x017F;teckt. Er zog deswegen<lb/>
unter manche feine Liebeserkla&#x0364;rung und Empfin¬<lb/>
dung bei dem Ab&#x017F;chreiben eine exegeti&#x017F;che Linie und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0193] nieder gebogen. An ſolchen Hof-Poeten und an Ohrwuͤrmern ſind die Fluͤgel gleichſam unſicht¬ bar und winzig, aber beide finden leichter die We¬ ge zum Ohr. An engliſchen Gedichten iſt nichts; hingegen die meiſten franzoͤſiſchen riechen nicht nach der Studier- und Spaarlampe, ſondern eher nach parfuͤmierten Strumpfbaͤndern, Handſchuhen u. ſ. w. und je weniger ſie haben was den Menſchen intereſſiert, deſto mehr haben ſie was den Welt¬ mann reizt, weil ſie nicht mehr die Natur und Himmel und Hoͤlle ſondern ein Paar Viſitenzim¬ mer abmahlen und ſo nicht ungeſchickt in immer engere Windungen des Schneckenhauſes ſich zuruͤck¬ draͤngen. Oefel war zugleich Theater-Dichter, Akteur und Rollen-Schreiber. Er zog aus dem Drama die Rolle Beatens heraus, die er mit den feinſten Anſpielungen auf ihr gegenſeitiges Liebesverſtaͤnd¬ niß (dacht' er,) oder auf ihr einſeitiges (denk' ich) in die Welt geſetzet hatte. Die zaͤrtlichſten Winke hatt' er in den Stellen wo er mit Beata zuſam¬ men ſpielte, hinein verſteckt. Er zog deswegen unter manche feine Liebeserklaͤrung und Empfin¬ dung bei dem Abſchreiben eine exegetiſche Linie und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/193
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/193>, abgerufen am 27.04.2024.