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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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set, seine Wolken-Augenlieder auf, und sein Auge
strömte und er sah uns an wie die Aufrichtigkeit
und die Aufrichtigkeit sah auch ihn an. "Wollen
wir nur -- sagte Ottomar, in dessen heißer
Freundschafts-Hand man gern jede weibliche ent¬
rieth -- bleiben, bis es auf dem Wasser lichter wird
und der Mond in die Thäler herein leuchten kann
-- wer weiß, wenn wirs wieder so haben?" End¬
lich fügt er hinzu: "ich und Gustav verreisen ohne¬
hin morgen früh und das Wetter hält nicht mehr
lange." Es ist das siebenwöchentliche unbekannte
Verreisen, von dem ich alle Muthmaßungen, die
es bisher so wichtig und räthselhaft vorstellten, gern
hier zurücknehme.

Wir blieben wieder; das Gespräch wurde ein¬
sylbiger, der Gedanke vielsylbiger und das Herz
zu voll, wie uns der abnehmende Mond an der
Aufgangsschwelle auch vol vorkam. Wenn einmal
eine Gesellschaft die Hand vom Thürdrücker, wor¬
an sie sie schon hatte, wieder wegthut: so erregt
dieser Aufschub die Erwartung größerer Vergnü¬
gungen und diese Erwartung erregt Verlegenheit --
wir aber wurden bloß um einander stiller, verbar¬
gen unsere Seufzer über die Falkenflügel fröhlicher

ſet, ſeine Wolken-Augenlieder auf, und ſein Auge
ſtroͤmte und er ſah uns an wie die Aufrichtigkeit
und die Aufrichtigkeit ſah auch ihn an. „Wollen
wir nur — ſagte Ottomar, in deſſen heißer
Freundſchafts-Hand man gern jede weibliche ent¬
rieth — bleiben, bis es auf dem Waſſer lichter wird
und der Mond in die Thaͤler herein leuchten kann
— wer weiß, wenn wirs wieder ſo haben?“ End¬
lich fuͤgt er hinzu: „ich und Guſtav verreiſen ohne¬
hin morgen fruͤh und das Wetter haͤlt nicht mehr
lange.“ Es iſt das ſiebenwoͤchentliche unbekannte
Verreiſen, von dem ich alle Muthmaßungen, die
es bisher ſo wichtig und raͤthſelhaft vorſtellten, gern
hier zuruͤcknehme.

Wir blieben wieder; das Geſpraͤch wurde ein¬
ſylbiger, der Gedanke vielſylbiger und das Herz
zu voll, wie uns der abnehmende Mond an der
Aufgangsſchwelle auch vol vorkam. Wenn einmal
eine Geſellſchaft die Hand vom Thuͤrdruͤcker, wor¬
an ſie ſie ſchon hatte, wieder wegthut: ſo erregt
dieſer Aufſchub die Erwartung groͤßerer Vergnuͤ¬
gungen und dieſe Erwartung erregt Verlegenheit —
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gen unſere Seufzer uͤber die Falkenfluͤgel froͤhlicher

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[343/0353] ſet, ſeine Wolken-Augenlieder auf, und ſein Auge ſtroͤmte und er ſah uns an wie die Aufrichtigkeit und die Aufrichtigkeit ſah auch ihn an. „Wollen wir nur — ſagte Ottomar, in deſſen heißer Freundſchafts-Hand man gern jede weibliche ent¬ rieth — bleiben, bis es auf dem Waſſer lichter wird und der Mond in die Thaͤler herein leuchten kann — wer weiß, wenn wirs wieder ſo haben?“ End¬ lich fuͤgt er hinzu: „ich und Guſtav verreiſen ohne¬ hin morgen fruͤh und das Wetter haͤlt nicht mehr lange.“ Es iſt das ſiebenwoͤchentliche unbekannte Verreiſen, von dem ich alle Muthmaßungen, die es bisher ſo wichtig und raͤthſelhaft vorſtellten, gern hier zuruͤcknehme. Wir blieben wieder; das Geſpraͤch wurde ein¬ ſylbiger, der Gedanke vielſylbiger und das Herz zu voll, wie uns der abnehmende Mond an der Aufgangsſchwelle auch vol vorkam. Wenn einmal eine Geſellſchaft die Hand vom Thuͤrdruͤcker, wor¬ an ſie ſie ſchon hatte, wieder wegthut: ſo erregt dieſer Aufſchub die Erwartung groͤßerer Vergnuͤ¬ gungen und dieſe Erwartung erregt Verlegenheit — wir aber wurden bloß um einander ſtiller, verbar¬ gen unſere Seufzer uͤber die Falkenfluͤgel froͤhlicher

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/353>, abgerufen am 14.05.2024.