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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Seufzer nach einem Frühling der andern Welt; der
Nacht-Nebel spielte und rauchte über Wäldern und
Gebirgen und zog sich wie die Gränze des Men¬
schen, wie Morgenwolken der künftigen Welt um
unsere Frühlingserde. Die Alphörner verhallten wie
die Stimme der ersten Liebe an unseren Ohren und
wurden lauter in unsern Phantasien; das Ruder
und Boot schnitt das Wasser in eine glimmende
Milchstraße entzwei; jede Welle war ein zitternder
Stern; das wankende Wasser spiegelte die Libra¬
zion des Mondes nach, den wir lieber vertausend¬
fältigt als verdoppelt hätten und dessen sanftes Li¬
lienantlitz unter der Welle noch blasser und holder
blühte. -- Umzingelt von vier Himmeln -- dem
oben im Blauen, auf der Erde, im Wasser und
in uns -- schifften wir durch schwimmende Blüten
hin. Beata saß am einen Ende des Bootes ent¬
gegengerichtet dem andern, dem Monde und dem
Freund ihrer zarten Seele -- ihr Blick glitt leicht zwi¬
schen dem Monde und ihm herab und hinauf -- er dach¬
te an seine morgendliche Reise und an seine länge¬
re Legations-Reise und bat uns alle um schrift¬
liche Denkmäler, damit er immer gut bliebe wie
jetzt unter uns und erinnerte Beata an ihr Ver¬

Seufzer nach einem Fruͤhling der andern Welt; der
Nacht-Nebel ſpielte und rauchte uͤber Waͤldern und
Gebirgen und zog ſich wie die Graͤnze des Men¬
ſchen, wie Morgenwolken der kuͤnftigen Welt um
unſere Fruͤhlingserde. Die Alphoͤrner verhallten wie
die Stimme der erſten Liebe an unſeren Ohren und
wurden lauter in unſern Phantaſien; das Ruder
und Boot ſchnitt das Waſſer in eine glimmende
Milchſtraße entzwei; jede Welle war ein zitternder
Stern; das wankende Waſſer ſpiegelte die Libra¬
zion des Mondes nach, den wir lieber vertauſend¬
faͤltigt als verdoppelt haͤtten und deſſen ſanftes Li¬
lienantlitz unter der Welle noch blaſſer und holder
bluͤhte. — Umzingelt von vier Himmeln — dem
oben im Blauen, auf der Erde, im Waſſer und
in uns — ſchifften wir durch ſchwimmende Bluͤten
hin. Beata ſaß am einen Ende des Bootes ent¬
gegengerichtet dem andern, dem Monde und dem
Freund ihrer zarten Seele — ihr Blick glitt leicht zwi¬
ſchen dem Monde und ihm herab und hinauf — er dach¬
te an ſeine morgendliche Reiſe und an ſeine laͤnge¬
re Legations-Reiſe und bat uns alle um ſchrift¬
liche Denkmaͤler, damit er immer gut bliebe wie
jetzt unter uns und erinnerte Beata an ihr Ver¬

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[347/0357] Seufzer nach einem Fruͤhling der andern Welt; der Nacht-Nebel ſpielte und rauchte uͤber Waͤldern und Gebirgen und zog ſich wie die Graͤnze des Men¬ ſchen, wie Morgenwolken der kuͤnftigen Welt um unſere Fruͤhlingserde. Die Alphoͤrner verhallten wie die Stimme der erſten Liebe an unſeren Ohren und wurden lauter in unſern Phantaſien; das Ruder und Boot ſchnitt das Waſſer in eine glimmende Milchſtraße entzwei; jede Welle war ein zitternder Stern; das wankende Waſſer ſpiegelte die Libra¬ zion des Mondes nach, den wir lieber vertauſend¬ faͤltigt als verdoppelt haͤtten und deſſen ſanftes Li¬ lienantlitz unter der Welle noch blaſſer und holder bluͤhte. — Umzingelt von vier Himmeln — dem oben im Blauen, auf der Erde, im Waſſer und in uns — ſchifften wir durch ſchwimmende Bluͤten hin. Beata ſaß am einen Ende des Bootes ent¬ gegengerichtet dem andern, dem Monde und dem Freund ihrer zarten Seele — ihr Blick glitt leicht zwi¬ ſchen dem Monde und ihm herab und hinauf — er dach¬ te an ſeine morgendliche Reiſe und an ſeine laͤnge¬ re Legations-Reiſe und bat uns alle um ſchrift¬ liche Denkmaͤler, damit er immer gut bliebe wie jetzt unter uns und erinnerte Beata an ihr Ver¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/357>, abgerufen am 14.05.2024.