fen erschrack sie so lange bis sie mit einem unge¬ zwungnen Blick über den Rücken des Bildes herun¬ tergeglitscht war und keinen Namen darauf gefun¬ den hatte. Von solchen Erdstäubchen hängt das Pochen des menschlichen Herzens oft ab: den Zentnerdruck der ganzen Lebens-Atmosphäre trägt und hebt es, allein unter dem schwülen Athem einer gesellschaft¬ lichen Verlegenheit fällt es kraftlos zusammen. Wer nicht hat wohin er sein Haupt hinlege, lei¬ det oft kleinere Pein als der nicht hat wo er seine -- Hand hinlege.
"Ich dachte, Ihr Bruder wäre ein weitläuf¬ tiger Verwandter von Ihnen" sagte die Residentin vielleicht boshaft-doppelsinnig, um sie in die Wahl irgend eines Sinnes zu verstricken: allerdings stan¬ den der Bouse alle Worte, Ideen und Glieder so behend zu Gebot, daß die Kraft in Beatens und Gustavs Verstand und Tugend kaum wie in der Mechanik zureichte, die Geschwindigkeit zu ersetzen. Aber Beata erzählte standhaft, ohne Ent¬ schuldigung, ohne Uebergänge alles von diesen Por¬ traits was die Leser aus meinem Munde wissen. Gustav hätt' eine solche Erzählung nicht liefern kön¬ nen. Die Nachricht, wie es in der Residentin
fen erſchrack ſie ſo lange bis ſie mit einem unge¬ zwungnen Blick uͤber den Ruͤcken des Bildes herun¬ tergeglitſcht war und keinen Namen darauf gefun¬ den hatte. Von ſolchen Erdſtaͤubchen haͤngt das Pochen des menſchlichen Herzens oft ab: den Zentnerdruck der ganzen Lebens-Atmoſphaͤre traͤgt und hebt es, allein unter dem ſchwuͤlen Athem einer geſellſchaft¬ lichen Verlegenheit faͤllt es kraftlos zuſammen. Wer nicht hat wohin er ſein Haupt hinlege, lei¬ det oft kleinere Pein als der nicht hat wo er ſeine — Hand hinlege.
„Ich dachte, Ihr Bruder waͤre ein weitlaͤuf¬ tiger Verwandter von Ihnen“ ſagte die Reſidentin vielleicht boshaft-doppelſinnig, um ſie in die Wahl irgend eines Sinnes zu verſtricken: allerdings ſtan¬ den der Bouſe alle Worte, Ideen und Glieder ſo behend zu Gebot, daß die Kraft in Beatens und Guſtavs Verſtand und Tugend kaum wie in der Mechanik zureichte, die Geſchwindigkeit zu erſetzen. Aber Beata erzaͤhlte ſtandhaft, ohne Ent¬ ſchuldigung, ohne Uebergaͤnge alles von dieſen Por¬ traits was die Leſer aus meinem Munde wiſſen. Guſtav haͤtt' eine ſolche Erzaͤhlung nicht liefern koͤn¬ nen. Die Nachricht, wie es in der Reſidentin
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fen erſchrack ſie ſo lange bis ſie mit einem unge¬
zwungnen Blick uͤber den Ruͤcken des Bildes herun¬
tergeglitſcht war und keinen Namen darauf gefun¬
den hatte. Von ſolchen Erdſtaͤubchen haͤngt das Pochen
des menſchlichen Herzens oft ab: den Zentnerdruck
der ganzen Lebens-Atmoſphaͤre traͤgt und hebt es,
allein unter dem ſchwuͤlen Athem einer geſellſchaft¬
lichen Verlegenheit faͤllt es kraftlos zuſammen.
Wer nicht hat wohin er ſein Haupt hinlege, lei¬
det oft kleinere Pein als der nicht hat wo er ſeine
— Hand hinlege.
„Ich dachte, Ihr Bruder waͤre ein weitlaͤuf¬
tiger Verwandter von Ihnen“ ſagte die Reſidentin
vielleicht boshaft-doppelſinnig, um ſie in die Wahl
irgend eines Sinnes zu verſtricken: allerdings ſtan¬
den der Bouſe alle Worte, Ideen und Glieder ſo
behend zu Gebot, daß die Kraft in Beatens und
Guſtavs Verſtand und Tugend kaum wie in der
Mechanik zureichte, die Geſchwindigkeit zu
erſetzen. Aber Beata erzaͤhlte ſtandhaft, ohne Ent¬
ſchuldigung, ohne Uebergaͤnge alles von dieſen Por¬
traits was die Leſer aus meinem Munde wiſſen.
Guſtav haͤtt' eine ſolche Erzaͤhlung nicht liefern koͤn¬
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/44>, abgerufen am 20.04.2024.
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