Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Das letzte ist der Kardinalpunkt -- sie starb
täglich wie jede wahre Christin; nicht ihrer Keusch¬
heit wegen, sondern sogar vor ihrer Keuschheit,
ich meine ein Paar Minuten -- sie und ihre Tu¬
gend fielen hinter einander in Ohnmacht. Wenn
ich über so etwas nicht weitläuftig bin: so bin ich
nicht werth, eine Feder zu schneiden und der Hen¬
ker soll meine Produkte holen. -- Die Tugend also
war bei der Ministerin so verdammt schlimm daran
wie bei einem Kind die junge Lieblingskatze. Ich
will von Tagszeiten gar nicht reden, sondern nur
von Wochentagen: ich will setzen, an jedem Tage
hatte ein andrer Antichrist und Erbfeind ihrer Tu¬
gend statt der Visitenkarte seinen Leib geschickt: so
hätt' es etwan so gehen können: am Montag war
ihre Tugend im stralenlosen Neumond, für Herrn
v. A. -- am Dienstag im Vollmond für H. v. B.,
der sagte, "zwischen ihr und einer Devote ist kein
Unterschied als das Alter" -- am Mitwoch in letz¬
tem Viertel für H. v. C., der sagt: j'y touche
deja
, an ihr Herz nämlich -- am Donnerstag im
ersten Viertel für H. v. D., der sagt: "peut-etre
que
-- -- und so fort mit den übrigen Feinden
der Woche; denn jeder Gegner sah, wie seinen

Das letzte iſt der Kardinalpunkt — ſie ſtarb
taͤglich wie jede wahre Chriſtin; nicht ihrer Keuſch¬
heit wegen, ſondern ſogar vor ihrer Keuſchheit,
ich meine ein Paar Minuten — ſie und ihre Tu¬
gend fielen hinter einander in Ohnmacht. Wenn
ich uͤber ſo etwas nicht weitlaͤuftig bin: ſo bin ich
nicht werth, eine Feder zu ſchneiden und der Hen¬
ker ſoll meine Produkte holen. — Die Tugend alſo
war bei der Miniſterin ſo verdammt ſchlimm daran
wie bei einem Kind die junge Lieblingskatze. Ich
will von Tagszeiten gar nicht reden, ſondern nur
von Wochentagen: ich will ſetzen, an jedem Tage
hatte ein andrer Antichriſt und Erbfeind ihrer Tu¬
gend ſtatt der Viſitenkarte ſeinen Leib geſchickt: ſo
haͤtt' es etwan ſo gehen koͤnnen: am Montag war
ihre Tugend im ſtralenloſen Neumond, fuͤr Herrn
v. A. — am Dienſtag im Vollmond fuͤr H. v. B.,
der ſagte, „zwiſchen ihr und einer Devote iſt kein
Unterſchied als das Alter“ — am Mitwoch in letz¬
tem Viertel fuͤr H. v. C., der ſagt: j'y touche
dejà
, an ihr Herz naͤmlich — am Donnerſtag im
erſten Viertel fuͤr H. v. D., der ſagt: „peut-être
que
— — und ſo fort mit den uͤbrigen Feinden
der Woche; denn jeder Gegner ſah, wie ſeinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0050" n="40"/>
          <p>Das letzte i&#x017F;t der Kardinalpunkt &#x2014; &#x017F;ie &#x017F;tarb<lb/>
ta&#x0364;glich wie jede wahre Chri&#x017F;tin; nicht ihrer Keu&#x017F;ch¬<lb/>
heit wegen, &#x017F;ondern &#x017F;ogar vor ihrer Keu&#x017F;chheit,<lb/>
ich meine ein Paar Minuten &#x2014; &#x017F;ie und ihre Tu¬<lb/>
gend fielen hinter einander in Ohnmacht. Wenn<lb/>
ich u&#x0364;ber &#x017F;o etwas nicht weitla&#x0364;uftig bin: &#x017F;o bin ich<lb/>
nicht werth, eine Feder zu &#x017F;chneiden und der Hen¬<lb/>
ker &#x017F;oll meine Produkte holen. &#x2014; Die Tugend al&#x017F;o<lb/>
war bei der Mini&#x017F;terin &#x017F;o verdammt &#x017F;chlimm daran<lb/>
wie bei einem Kind die junge Lieblingskatze. Ich<lb/>
will von Tagszeiten gar nicht reden, &#x017F;ondern nur<lb/>
von Wochentagen: ich will &#x017F;etzen, an jedem Tage<lb/>
hatte ein andrer Antichri&#x017F;t und Erbfeind ihrer Tu¬<lb/>
gend &#x017F;tatt der Vi&#x017F;itenkarte &#x017F;einen Leib ge&#x017F;chickt: &#x017F;o<lb/>
ha&#x0364;tt' es etwan &#x017F;o gehen ko&#x0364;nnen: am Montag war<lb/>
ihre Tugend im &#x017F;tralenlo&#x017F;en Neumond, fu&#x0364;r Herrn<lb/>
v. A. &#x2014; am Dien&#x017F;tag im Vollmond fu&#x0364;r H. v. B.,<lb/>
der &#x017F;agte, &#x201E;zwi&#x017F;chen ihr und einer <hi rendition="#aq">Devote</hi> i&#x017F;t kein<lb/>
Unter&#x017F;chied als das Alter&#x201C; &#x2014; am Mitwoch in letz¬<lb/>
tem Viertel fu&#x0364;r H. v. C., der &#x017F;agt: <hi rendition="#aq">j'y touche<lb/>
dejà</hi>, an ihr Herz na&#x0364;mlich &#x2014; am Donner&#x017F;tag im<lb/>
er&#x017F;ten Viertel fu&#x0364;r H. v. D., der &#x017F;agt: &#x201E;<hi rendition="#aq">peut-être<lb/>
que</hi> &#x2014; &#x2014; und &#x017F;o fort mit den u&#x0364;brigen Feinden<lb/>
der Woche; denn jeder Gegner &#x017F;ah, wie &#x017F;einen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0050] Das letzte iſt der Kardinalpunkt — ſie ſtarb taͤglich wie jede wahre Chriſtin; nicht ihrer Keuſch¬ heit wegen, ſondern ſogar vor ihrer Keuſchheit, ich meine ein Paar Minuten — ſie und ihre Tu¬ gend fielen hinter einander in Ohnmacht. Wenn ich uͤber ſo etwas nicht weitlaͤuftig bin: ſo bin ich nicht werth, eine Feder zu ſchneiden und der Hen¬ ker ſoll meine Produkte holen. — Die Tugend alſo war bei der Miniſterin ſo verdammt ſchlimm daran wie bei einem Kind die junge Lieblingskatze. Ich will von Tagszeiten gar nicht reden, ſondern nur von Wochentagen: ich will ſetzen, an jedem Tage hatte ein andrer Antichriſt und Erbfeind ihrer Tu¬ gend ſtatt der Viſitenkarte ſeinen Leib geſchickt: ſo haͤtt' es etwan ſo gehen koͤnnen: am Montag war ihre Tugend im ſtralenloſen Neumond, fuͤr Herrn v. A. — am Dienſtag im Vollmond fuͤr H. v. B., der ſagte, „zwiſchen ihr und einer Devote iſt kein Unterſchied als das Alter“ — am Mitwoch in letz¬ tem Viertel fuͤr H. v. C., der ſagt: j'y touche dejà, an ihr Herz naͤmlich — am Donnerſtag im erſten Viertel fuͤr H. v. D., der ſagt: „peut-être que — — und ſo fort mit den uͤbrigen Feinden der Woche; denn jeder Gegner ſah, wie ſeinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/50
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/50>, abgerufen am 15.10.2024.