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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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einen Pranger schauen, wo unter gift-schwerer,
tödtender Pein eigner und fremder Verachtung
ein niederblickendes, verworrenes Gesicht auf
die sündige Brust hieng.

Karl näherte sich zuweilen mit einigen Lich¬
tern dem langen, nächtlichen Räthsel; aber Al¬
bano, so sehr er sie wünschte, machte ihn irre
durch Entgegentreten und suchte ihn nicht ein¬
mal auszuhören, geschweige auszufragen. So
lag er auf harten, jugendlichen, stachlichten Ro¬
sen -- knospen, die eine einzige Stunde zu weichen
Rosen aufschließen kann. Siege geben Siege --
-- wie Niederlagen Niederlagen; er fand jetzt
gegen die Empfindungen, die ihn belagerten,
wenn nicht einen Entsatz, doch eine auf die
Ewigkeit verproviantirte Bergfestung in einer
-- Sternwarte. Mit ganzer, festzusammenge¬
faßter Seele warf er sich auf die theoretische
Sternkunde, um nicht den Tag, und auf die
thätige, um nicht die Nacht zu sehen. Die
Sternwarte stand zwar auf einem Zwischen¬
berge zwischen der Stadt und Blumenbühl und
deckte beide auf; aber er schickte seine Augen

einen Pranger ſchauen, wo unter gift-ſchwerer,
tödtender Pein eigner und fremder Verachtung
ein niederblickendes, verworrenes Geſicht auf
die ſündige Bruſt hieng.

Karl näherte ſich zuweilen mit einigen Lich¬
tern dem langen, nächtlichen Räthſel; aber Al¬
bano, ſo ſehr er ſie wünſchte, machte ihn irre
durch Entgegentreten und ſuchte ihn nicht ein¬
mal auszuhören, geſchweige auszufragen. So
lag er auf harten, jugendlichen, ſtachlichten Ro¬
ſen — knoſpen, die eine einzige Stunde zu weichen
Roſen aufſchließen kann. Siege geben Siege —
— wie Niederlagen Niederlagen; er fand jetzt
gegen die Empfindungen, die ihn belagerten,
wenn nicht einen Entſatz, doch eine auf die
Ewigkeit verproviantirte Bergfeſtung in einer
— Sternwarte. Mit ganzer, feſtzuſammenge¬
faßter Seele warf er ſich auf die theoretiſche
Sternkunde, um nicht den Tag, und auf die
thätige, um nicht die Nacht zu ſehen. Die
Sternwarte ſtand zwar auf einem Zwiſchen¬
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deckte beide auf; aber er ſchickte ſeine Augen

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[94/0106] einen Pranger ſchauen, wo unter gift-ſchwerer, tödtender Pein eigner und fremder Verachtung ein niederblickendes, verworrenes Geſicht auf die ſündige Bruſt hieng. Karl näherte ſich zuweilen mit einigen Lich¬ tern dem langen, nächtlichen Räthſel; aber Al¬ bano, ſo ſehr er ſie wünſchte, machte ihn irre durch Entgegentreten und ſuchte ihn nicht ein¬ mal auszuhören, geſchweige auszufragen. So lag er auf harten, jugendlichen, ſtachlichten Ro¬ ſen — knoſpen, die eine einzige Stunde zu weichen Roſen aufſchließen kann. Siege geben Siege — — wie Niederlagen Niederlagen; er fand jetzt gegen die Empfindungen, die ihn belagerten, wenn nicht einen Entſatz, doch eine auf die Ewigkeit verproviantirte Bergfeſtung in einer — Sternwarte. Mit ganzer, feſtzuſammenge¬ faßter Seele warf er ſich auf die theoretiſche Sternkunde, um nicht den Tag, und auf die thätige, um nicht die Nacht zu ſehen. Die Sternwarte ſtand zwar auf einem Zwiſchen¬ berge zwiſchen der Stadt und Blumenbühl und deckte beide auf; aber er ſchickte ſeine Augen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/106>, abgerufen am 29.04.2024.