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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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ihm der Freund die Entsagung Linda's beschwor.
Seine Zunge strömte wie sein Auge -- Er war
weich wie nach dem Volksglauben Leichen weich
sind, denen Traurende nachsterben -- Er warf
Feuer-Kränze in Rabettens Herz, aber sie hat¬
te nicht wie er Wortströme zum Löschen -- sie
konnte nur seufzen, nur umarmen; und die
Männer versündigen sich am leichtesten aus
Langerweile an guten, aber langweiligen Her¬
zen -- Schneller sprangen Lachen und Weinen,
Tod und Scherz, Liebe und Frechheit ineinan¬
der über; das moralische Gift macht die Zun¬
ge so leicht als physisches sie schwer -- Die
Arme! die jungfräuliche Seele ist eine reife
Rose, aus der, sobald Ein Blatt gezogen ist,
leicht alle gepaarte nachfallen; seine wilden Küs¬
se brachen die ersten Blätter aus -- Dann san¬
ken andere -- Umsonst wehet der gute Genius
fromme Töne aus der Harfe des Todes und
rauschet zürnend im Orkus-Flusse der Kata¬
kombe herauf-- Umsonst!-- Der schwärzeste En¬
gel, der gern foltert, aber lieber Unschuldige als
Schuldige, hat schon vom Himmel den Stern der
Liebe gerissen um ihn als Mordbrand in die

ihm der Freund die Entſagung Linda's beſchwor.
Seine Zunge ſtrömte wie ſein Auge — Er war
weich wie nach dem Volksglauben Leichen weich
ſind, denen Traurende nachſterben — Er warf
Feuer-Kränze in Rabettens Herz, aber ſie hat¬
te nicht wie er Wortſtröme zum Löſchen — ſie
konnte nur ſeufzen, nur umarmen; und die
Männer verſündigen ſich am leichteſten aus
Langerweile an guten, aber langweiligen Her¬
zen — Schneller ſprangen Lachen und Weinen,
Tod und Scherz, Liebe und Frechheit ineinan¬
der über; das moraliſche Gift macht die Zun¬
ge ſo leicht als phyſiſches ſie ſchwer — Die
Arme! die jungfräuliche Seele iſt eine reife
Roſe, aus der, ſobald Ein Blatt gezogen iſt,
leicht alle gepaarte nachfallen; ſeine wilden Küſ¬
ſe brachen die erſten Blätter aus — Dann ſan¬
ken andere — Umſonſt wehet der gute Genius
fromme Töne aus der Harfe des Todes und
rauſchet zürnend im Orkus-Fluſſe der Kata¬
kombe herauf— Umſonſt!— Der ſchwärzeſte En¬
gel, der gern foltert, aber lieber Unſchuldige als
Schuldige, hat ſchon vom Himmel den Stern der
Liebe geriſſen um ihn als Mordbrand in die

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[274/0286] ihm der Freund die Entſagung Linda's beſchwor. Seine Zunge ſtrömte wie ſein Auge — Er war weich wie nach dem Volksglauben Leichen weich ſind, denen Traurende nachſterben — Er warf Feuer-Kränze in Rabettens Herz, aber ſie hat¬ te nicht wie er Wortſtröme zum Löſchen — ſie konnte nur ſeufzen, nur umarmen; und die Männer verſündigen ſich am leichteſten aus Langerweile an guten, aber langweiligen Her¬ zen — Schneller ſprangen Lachen und Weinen, Tod und Scherz, Liebe und Frechheit ineinan¬ der über; das moraliſche Gift macht die Zun¬ ge ſo leicht als phyſiſches ſie ſchwer — Die Arme! die jungfräuliche Seele iſt eine reife Roſe, aus der, ſobald Ein Blatt gezogen iſt, leicht alle gepaarte nachfallen; ſeine wilden Küſ¬ ſe brachen die erſten Blätter aus — Dann ſan¬ ken andere — Umſonſt wehet der gute Genius fromme Töne aus der Harfe des Todes und rauſchet zürnend im Orkus-Fluſſe der Kata¬ kombe herauf— Umſonſt!— Der ſchwärzeſte En¬ gel, der gern foltert, aber lieber Unſchuldige als Schuldige, hat ſchon vom Himmel den Stern der Liebe geriſſen um ihn als Mordbrand in die

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/286>, abgerufen am 15.05.2024.