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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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hinaus und ließ Lianen in der Freude zurück,
daß sie doch heute recht aus bloßer reiner Liebe
gesprochen habe. Aus dem letzten Hause des
Dorfs sprang ihm Rabette entgegen; über sein
Gesicht fielen die Wetterbäche der verhaltnen
Thränen herab; "was fehlt Dir, was weinst
Du?" rief sie. "Du träumest" rief er, und eilte
vor allen Dingen ins Ungewitter hinaus, das
sich plötzlich wie ein Mantelfisch erstickend über
den ganzen Himmel hergeworfen hatte. Er
suchte sich unter dem regnenden Blitzen zuerst
die besten Beweise zusammen, daß Liane heilige
Reize, göttlichen Sinn, alle Tugenden habe, be¬
sonders allgemeine Menschenliebe, Mutterliebe,
Bruderliebe, Freundesliebe -- nur aber nicht die
glühende Einzigen-Liebe, wenigstens nicht gegen
ihn. Sie wird nur -- er schliesset immer fort
-- von der Gegenwart so gänzlich gefasset und
gefüllt, von meiner so gut als von der eines
Armbruchs des kleinen Pollux, welche ihr Him¬
mel und Erde verdeckt. -- Darum wird ihr
der Untergang des Lebens so leicht, wie der ei¬
nes Sternchens und alle Scheidungen dabei. --
Darum stand ich so lange mit einer leidenden

hinaus und ließ Lianen in der Freude zurück,
daß ſie doch heute recht aus bloßer reiner Liebe
geſprochen habe. Aus dem letzten Hauſe des
Dorfs ſprang ihm Rabette entgegen; über ſein
Geſicht fielen die Wetterbäche der verhaltnen
Thränen herab; „was fehlt Dir, was weinſt
Du?“ rief ſie. „Du träumeſt“ rief er, und eilte
vor allen Dingen ins Ungewitter hinaus, das
ſich plötzlich wie ein Mantelfiſch erſtickend über
den ganzen Himmel hergeworfen hatte. Er
ſuchte ſich unter dem regnenden Blitzen zuerſt
die beſten Beweiſe zuſammen, daß Liane heilige
Reize, göttlichen Sinn, alle Tugenden habe, be¬
ſonders allgemeine Menſchenliebe, Mutterliebe,
Bruderliebe, Freundesliebe — nur aber nicht die
glühende Einzigen-Liebe, wenigſtens nicht gegen
ihn. Sie wird nur — er ſchlieſſet immer fort
— von der Gegenwart ſo gänzlich gefaſſet und
gefüllt, von meiner ſo gut als von der eines
Armbruchs des kleinen Pollux, welche ihr Him¬
mel und Erde verdeckt. — Darum wird ihr
der Untergang des Lebens ſo leicht, wie der ei¬
nes Sternchens und alle Scheidungen dabei. —
Darum ſtand ich ſo lange mit einer leidenden

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[42/0054] hinaus und ließ Lianen in der Freude zurück, daß ſie doch heute recht aus bloßer reiner Liebe geſprochen habe. Aus dem letzten Hauſe des Dorfs ſprang ihm Rabette entgegen; über ſein Geſicht fielen die Wetterbäche der verhaltnen Thränen herab; „was fehlt Dir, was weinſt Du?“ rief ſie. „Du träumeſt“ rief er, und eilte vor allen Dingen ins Ungewitter hinaus, das ſich plötzlich wie ein Mantelfiſch erſtickend über den ganzen Himmel hergeworfen hatte. Er ſuchte ſich unter dem regnenden Blitzen zuerſt die beſten Beweiſe zuſammen, daß Liane heilige Reize, göttlichen Sinn, alle Tugenden habe, be¬ ſonders allgemeine Menſchenliebe, Mutterliebe, Bruderliebe, Freundesliebe — nur aber nicht die glühende Einzigen-Liebe, wenigſtens nicht gegen ihn. Sie wird nur — er ſchlieſſet immer fort — von der Gegenwart ſo gänzlich gefaſſet und gefüllt, von meiner ſo gut als von der eines Armbruchs des kleinen Pollux, welche ihr Him¬ mel und Erde verdeckt. — Darum wird ihr der Untergang des Lebens ſo leicht, wie der ei¬ nes Sternchens und alle Scheidungen dabei. — Darum ſtand ich ſo lange mit einer leidenden

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/54>, abgerufen am 29.04.2024.