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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Nachtigallen und aus den Ritzen schossen gift¬
lose Schlangenköpfe ans Licht -- Zuweilen kam
ein Kloster in einem Zitronenwäldchen, zuwei¬
len ein weißes Haus am Weingarten, bald
eine kühle Grotte, bald ein Kohlgarten neben
rothen Klee, bald eine kleine Aue voll weißer
Rosenblumen und Narzissen, und überall ein
Mensch, der singend, tanzend und anredend
vorübergieng. -- Wechselnd deckten Höhen und
Gärten das Land und das Wasser auf und zu
und lange schimmerte oft das weite ferne Meer
und seine Wolken-Küste wie ein zweiter Him¬
mel durch die grünen Zweige nach. -- --

Sie kamen dem Hause des Einsiedlers auf
dem Gipfel immer näher, auf bunten goldnen
Schwungfedern des Lebens sich wiegend. Sie
sagten einander zuweilen ein freudiges Wort,
aber nicht um sich mitzutheilen, sondern weil
das Herz nicht anders konnte und ein Wort
nichts war als ein freudiger Seufzer. Sie stan¬
den endlich auf dem Erden-Thron und blickten
wie von der Sonne herunter. Rings um sie
war das Meer gelagert, ins Blau des Hori¬
zonts verschmolzen -- von Kapua her zog in

der

Nachtigallen und aus den Ritzen ſchoſſen gift¬
loſe Schlangenköpfe ans Licht — Zuweilen kam
ein Kloſter in einem Zitronenwäldchen, zuwei¬
len ein weißes Haus am Weingarten, bald
eine kühle Grotte, bald ein Kohlgarten neben
rothen Klee, bald eine kleine Aue voll weißer
Roſenblumen und Narziſſen, und überall ein
Menſch, der ſingend, tanzend und anredend
vorübergieng. — Wechſelnd deckten Höhen und
Gärten das Land und das Waſſer auf und zu
und lange ſchimmerte oft das weite ferne Meer
und ſeine Wolken-Küſte wie ein zweiter Him¬
mel durch die grünen Zweige nach. — —

Sie kamen dem Hauſe des Einſiedlers auf
dem Gipfel immer näher, auf bunten goldnen
Schwungfedern des Lebens ſich wiegend. Sie
ſagten einander zuweilen ein freudiges Wort,
aber nicht um ſich mitzutheilen, ſondern weil
das Herz nicht anders konnte und ein Wort
nichts war als ein freudiger Seufzer. Sie ſtan¬
den endlich auf dem Erden-Thron und blickten
wie von der Sonne herunter. Rings um ſie
war das Meer gelagert, ins Blau des Hori¬
zonts verſchmolzen — von Kapua her zog in

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[160/0172] Nachtigallen und aus den Ritzen ſchoſſen gift¬ loſe Schlangenköpfe ans Licht — Zuweilen kam ein Kloſter in einem Zitronenwäldchen, zuwei¬ len ein weißes Haus am Weingarten, bald eine kühle Grotte, bald ein Kohlgarten neben rothen Klee, bald eine kleine Aue voll weißer Roſenblumen und Narziſſen, und überall ein Menſch, der ſingend, tanzend und anredend vorübergieng. — Wechſelnd deckten Höhen und Gärten das Land und das Waſſer auf und zu und lange ſchimmerte oft das weite ferne Meer und ſeine Wolken-Küſte wie ein zweiter Him¬ mel durch die grünen Zweige nach. — — Sie kamen dem Hauſe des Einſiedlers auf dem Gipfel immer näher, auf bunten goldnen Schwungfedern des Lebens ſich wiegend. Sie ſagten einander zuweilen ein freudiges Wort, aber nicht um ſich mitzutheilen, ſondern weil das Herz nicht anders konnte und ein Wort nichts war als ein freudiger Seufzer. Sie ſtan¬ den endlich auf dem Erden-Thron und blickten wie von der Sonne herunter. Rings um ſie war das Meer gelagert, ins Blau des Hori¬ zonts verſchmolzen — von Kapua her zog in der

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/172>, abgerufen am 29.04.2024.