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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Bruder rührte ihn nur wenig, aber die Nach¬
barschaft der stillen Eltern, die so lang für ihn
gesorgt und denen er nie gedankt, und die un¬
aufhörlichen Thränen der Schwester, die er in
der Empor über der Todespforte sah, ergrif¬
fen heftig sein Herz, aus welchen die tiefen
ewigen Trauertöne die Thränen, gleichsam das
warme Blut der Trauer und Liebe sogen. Er
sah Idoine, mit ihrer halb rothen halb weis¬
sen Lankaster-Rose auf der schwarzen Seide
neben der Schwester stehen, sich gegen man¬
chen vergleichenden Blick den Schleier über die
Augen ziehend -- Hier neben solchen Altarlich¬
tern hatte einst die bedrängte Liane unter dem
Abschwören der Liebe geknieet -- Das ganze
Sternbild seiner glänzenden Vergangenheit, sei¬
ner hohen Menschen, war hinunter unter den
Horizont und nur Ein heller Stern davon stand
noch schimmernd über der Erde, Idoine.

Da erblickte den Jüngling sein Freund Dian
und eilte herzu. Ohne viele Rücksichten um¬
armte ihn der Grieche und sagte: "Heil, Heil
der schönen Veränderung! Dort steht meine
Chariton, auch sie möchte nach ihrer Spra¬

Bruder rührte ihn nur wenig, aber die Nach¬
barſchaft der ſtillen Eltern, die ſo lang für ihn
geſorgt und denen er nie gedankt, und die un¬
aufhörlichen Thränen der Schweſter, die er in
der Empor über der Todespforte ſah, ergrif¬
fen heftig ſein Herz, aus welchen die tiefen
ewigen Trauertöne die Thränen, gleichſam das
warme Blut der Trauer und Liebe ſogen. Er
ſah Idoine, mit ihrer halb rothen halb weis¬
ſen Lankaſter-Roſe auf der ſchwarzen Seide
neben der Schweſter ſtehen, ſich gegen man¬
chen vergleichenden Blick den Schleier über die
Augen ziehend — Hier neben ſolchen Altarlich¬
tern hatte einſt die bedrängte Liane unter dem
Abſchwören der Liebe geknieet — Das ganze
Sternbild ſeiner glänzenden Vergangenheit, ſei¬
ner hohen Menſchen, war hinunter unter den
Horizont und nur Ein heller Stern davon ſtand
noch ſchimmernd über der Erde, Idoine.

Da erblickte den Jüngling ſein Freund Dian
und eilte herzu. Ohne viele Rückſichten um¬
armte ihn der Grieche und ſagte: „Heil, Heil
der ſchönen Veränderung! Dort ſteht meine
Chariton, auch ſie möchte nach ihrer Spra¬

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[564/0576] Bruder rührte ihn nur wenig, aber die Nach¬ barſchaft der ſtillen Eltern, die ſo lang für ihn geſorgt und denen er nie gedankt, und die un¬ aufhörlichen Thränen der Schweſter, die er in der Empor über der Todespforte ſah, ergrif¬ fen heftig ſein Herz, aus welchen die tiefen ewigen Trauertöne die Thränen, gleichſam das warme Blut der Trauer und Liebe ſogen. Er ſah Idoine, mit ihrer halb rothen halb weis¬ ſen Lankaſter-Roſe auf der ſchwarzen Seide neben der Schweſter ſtehen, ſich gegen man¬ chen vergleichenden Blick den Schleier über die Augen ziehend — Hier neben ſolchen Altarlich¬ tern hatte einſt die bedrängte Liane unter dem Abſchwören der Liebe geknieet — Das ganze Sternbild ſeiner glänzenden Vergangenheit, ſei¬ ner hohen Menſchen, war hinunter unter den Horizont und nur Ein heller Stern davon ſtand noch ſchimmernd über der Erde, Idoine. Da erblickte den Jüngling ſein Freund Dian und eilte herzu. Ohne viele Rückſichten um¬ armte ihn der Grieche und ſagte: „Heil, Heil der ſchönen Veränderung! Dort ſteht meine Chariton, auch ſie möchte nach ihrer Spra¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/576>, abgerufen am 29.04.2024.