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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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sen grossen Gedanken, der den Kindern des
Adels von der Wiege auf, als das erste Wort
Gottes an sie, eingeprägt werden sollte, und
nicht eingeprägt wird, unterdrükte Arner in
dieser schlaflosen Nacht nicht, er hängte ihm
vielmehr nach. Es ist wohl wahr, sagte er
zu sich selber, was die liebe Ahnfrau noch zu
mir sagte, die Zeiten sind böse, und waren
von meiner Kindheit an böse; man macht
aus sich selber alles, aus dem Volk nichts,
und achtet es nichts, daß Leuthe die einem
angehören es schlimmer haben als die Thiere
des Felds. -- Es nagte dem frommen Mann
am Herzen, daß sein lieber Großvater aus
seiner Burg ein Schloß gemacht, wie ein Kö-
nigs Haus, und weit und breit die Felsen ab-
getragen, und die Hügel zu Gärten gemacht,
aber ihm ein Volk hinterlassen, an das er
ohne Scham und Sorgen nicht denken darf.
-- O Gott! sagte er etliche mal zu sich selber;
lieber, lieber Großvater! hättest du mir doch
meiner Ahnen Zimmerleere Burg, und mei-
ner Ahnen Schandleeres Volk hinterlassen!

Sein Carl der im gleichen Beth lag, hör-
te ihn gegen zwölf Uhr so beklemmt athmen,
und sagte zu ihm, fehlt dir etwas Papa? daß
du nicht schlafen kannst.

Nein, lieber! Es fehlt mir nichts, sagte
Arner.


L 2

ſen groſſen Gedanken, der den Kindern des
Adels von der Wiege auf, als das erſte Wort
Gottes an ſie, eingepraͤgt werden ſollte, und
nicht eingepraͤgt wird, unterdruͤkte Arner in
dieſer ſchlafloſen Nacht nicht, er haͤngte ihm
vielmehr nach. Es iſt wohl wahr, ſagte er
zu ſich ſelber, was die liebe Ahnfrau noch zu
mir ſagte, die Zeiten ſind boͤſe, und waren
von meiner Kindheit an boͤſe; man macht
aus ſich ſelber alles, aus dem Volk nichts,
und achtet es nichts, daß Leuthe die einem
angehoͤren es ſchlimmer haben als die Thiere
des Felds. — Es nagte dem frommen Mann
am Herzen, daß ſein lieber Großvater aus
ſeiner Burg ein Schloß gemacht, wie ein Koͤ-
nigs Haus, und weit und breit die Felſen ab-
getragen, und die Huͤgel zu Gaͤrten gemacht,
aber ihm ein Volk hinterlaſſen, an das er
ohne Scham und Sorgen nicht denken darf.
— O Gott! ſagte er etliche mal zu ſich ſelber;
lieber, lieber Großvater! haͤtteſt du mir doch
meiner Ahnen Zimmerleere Burg, und mei-
ner Ahnen Schandleeres Volk hinterlaſſen!

Sein Carl der im gleichen Beth lag, hoͤr-
te ihn gegen zwoͤlf Uhr ſo beklemmt athmen,
und ſagte zu ihm, fehlt dir etwas Papa? daß
du nicht ſchlafen kannſt.

Nein, lieber! Es fehlt mir nichts, ſagte
Arner.


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[163/0185] ſen groſſen Gedanken, der den Kindern des Adels von der Wiege auf, als das erſte Wort Gottes an ſie, eingepraͤgt werden ſollte, und nicht eingepraͤgt wird, unterdruͤkte Arner in dieſer ſchlafloſen Nacht nicht, er haͤngte ihm vielmehr nach. Es iſt wohl wahr, ſagte er zu ſich ſelber, was die liebe Ahnfrau noch zu mir ſagte, die Zeiten ſind boͤſe, und waren von meiner Kindheit an boͤſe; man macht aus ſich ſelber alles, aus dem Volk nichts, und achtet es nichts, daß Leuthe die einem angehoͤren es ſchlimmer haben als die Thiere des Felds. — Es nagte dem frommen Mann am Herzen, daß ſein lieber Großvater aus ſeiner Burg ein Schloß gemacht, wie ein Koͤ- nigs Haus, und weit und breit die Felſen ab- getragen, und die Huͤgel zu Gaͤrten gemacht, aber ihm ein Volk hinterlaſſen, an das er ohne Scham und Sorgen nicht denken darf. — O Gott! ſagte er etliche mal zu ſich ſelber; lieber, lieber Großvater! haͤtteſt du mir doch meiner Ahnen Zimmerleere Burg, und mei- ner Ahnen Schandleeres Volk hinterlaſſen! Sein Carl der im gleichen Beth lag, hoͤr- te ihn gegen zwoͤlf Uhr ſo beklemmt athmen, und ſagte zu ihm, fehlt dir etwas Papa? daß du nicht ſchlafen kannſt. Nein, lieber! Es fehlt mir nichts, ſagte Arner. L 2

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/185>, abgerufen am 24.04.2024.