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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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den, damit das thauende Gras und die feuchte
Erde sein weisses Kleid nicht befleke. Und als
es so in der Einöde des Bergs auf dem Grab-
hügel lag, hörte es unten im Thal Wagen und
Pferde, und erkannte nach einer Weile die
Stimme des Manns und der Frauen, deren
Pfand, daß sie ihm Vater und Mutter seyn
wollen, es jezt auf dem Grab seines Vaters
um seinen Leib trug, und es tönte zu ihm hin-
auf wie aus dem Abgrund, ihr Loblied an
Gott, der den Mond und den Menschen er-
schaffen.

Himmel und Erde, Mond und Sterne schie-
nen dem Kind jezt schöner, und die Blumen
auf des Vaters Grab dufteten ihm Wohlge-
ruch, wie sie ihm noch nie dufteten.

So erquikte der Wagen des Vaters und der
Mutter unten im Abgrund, und ihr Nachtge-
sang an Gott, der den Mond und den Men-
schen geschaffen, die Sinnen des Kinds, das
ihnen unwissend ob ihrem Haupt in der Einöde
kniete.

Sie fuhren beym stillen Mondschein, das
Kutschendach hinter sich liegend alle mit ein-
ander langsam an der vollen Nachtluft, --
sie erfrischte ihr Blut, und ihr Gesang tönte
lang und laut hinauf, an die Jammerstell ob
ihrem Haupt.

Das gute Kind mußte nur weynen, seine

den, damit das thauende Gras und die feuchte
Erde ſein weiſſes Kleid nicht befleke. Und als
es ſo in der Einoͤde des Bergs auf dem Grab-
huͤgel lag, hoͤrte es unten im Thal Wagen und
Pferde, und erkannte nach einer Weile die
Stimme des Manns und der Frauen, deren
Pfand, daß ſie ihm Vater und Mutter ſeyn
wollen, es jezt auf dem Grab ſeines Vaters
um ſeinen Leib trug, und es toͤnte zu ihm hin-
auf wie aus dem Abgrund, ihr Loblied an
Gott, der den Mond und den Menſchen er-
ſchaffen.

Himmel und Erde, Mond und Sterne ſchie-
nen dem Kind jezt ſchoͤner, und die Blumen
auf des Vaters Grab dufteten ihm Wohlge-
ruch, wie ſie ihm noch nie dufteten.

So erquikte der Wagen des Vaters und der
Mutter unten im Abgrund, und ihr Nachtge-
ſang an Gott, der den Mond und den Men-
ſchen geſchaffen, die Sinnen des Kinds, das
ihnen unwiſſend ob ihrem Haupt in der Einoͤde
kniete.

Sie fuhren beym ſtillen Mondſchein, das
Kutſchendach hinter ſich liegend alle mit ein-
ander langſam an der vollen Nachtluft, —
ſie erfriſchte ihr Blut, und ihr Geſang toͤnte
lang und laut hinauf, an die Jammerſtell ob
ihrem Haupt.

Das gute Kind mußte nur weynen, ſeine

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[271/0293] den, damit das thauende Gras und die feuchte Erde ſein weiſſes Kleid nicht befleke. Und als es ſo in der Einoͤde des Bergs auf dem Grab- huͤgel lag, hoͤrte es unten im Thal Wagen und Pferde, und erkannte nach einer Weile die Stimme des Manns und der Frauen, deren Pfand, daß ſie ihm Vater und Mutter ſeyn wollen, es jezt auf dem Grab ſeines Vaters um ſeinen Leib trug, und es toͤnte zu ihm hin- auf wie aus dem Abgrund, ihr Loblied an Gott, der den Mond und den Menſchen er- ſchaffen. Himmel und Erde, Mond und Sterne ſchie- nen dem Kind jezt ſchoͤner, und die Blumen auf des Vaters Grab dufteten ihm Wohlge- ruch, wie ſie ihm noch nie dufteten. So erquikte der Wagen des Vaters und der Mutter unten im Abgrund, und ihr Nachtge- ſang an Gott, der den Mond und den Men- ſchen geſchaffen, die Sinnen des Kinds, das ihnen unwiſſend ob ihrem Haupt in der Einoͤde kniete. Sie fuhren beym ſtillen Mondſchein, das Kutſchendach hinter ſich liegend alle mit ein- ander langſam an der vollen Nachtluft, — ſie erfriſchte ihr Blut, und ihr Geſang toͤnte lang und laut hinauf, an die Jammerſtell ob ihrem Haupt. Das gute Kind mußte nur weynen, ſeine

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/293>, abgerufen am 28.04.2024.