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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Ein andermal gab ein alter Aebj dem jun-
gen Reinold, der auch so an den Fingern die
Häuser abzählte, die in allen Gassen immer
mehr in Ordnung kamen, zur Antwort: "Wart
jezt nur noch bis die andere Woche an den Hir-
zener Markt, und ich will denn ein Narr seyn,
wenn ich dir denn nicht aus mehr als 20 Häu-
sern, die du jezt so rühmst, Leuthe zeigen will,
die voll und toll heimkommen.

Er hatte darinn recht. Der Morgen die-
ses Mäyenmarkts war so schön; die Sonne
gieng wie ein pures Gold auf, und die Even
in Bonnal sahen frühe unter ihren Thüren und
Fenstern nach der schönen Sonne, und nach
dem Weg, der ihnen also hinab ins Dorf in die
Augen schiene, und sagten bald über Gassen
und Gärten hinüber zu einander, wie schön
das ein Tag sey! -- und wie lustig es wär,
wenn sie auch dörften -- --

Aber der Pfarrer hatte in der Kirche gewar-
net, der Aebj im Barthaus gewettet, der Lieu-
tenant allerhand darüber in der Schul gesagt,
und gestern giengen sie alle mit dem Vorsaz ins
Bett den Markt Markt seyn zu lassen; aber
heute wars ihnen nicht wie gestern. So wie
die Sonne stieg und warmte, so stieg und warm-
te in den Männern und Weibern von Bonnal
der Gelust nach dem Markt.

Wir sind doch keine Kinder mehr, und kön-

Ein andermal gab ein alter Aebj dem jun-
gen Reinold, der auch ſo an den Fingern die
Haͤuſer abzaͤhlte, die in allen Gaſſen immer
mehr in Ordnung kamen, zur Antwort: „Wart
jezt nur noch bis die andere Woche an den Hir-
zener Markt, und ich will denn ein Narr ſeyn,
wenn ich dir denn nicht aus mehr als 20 Haͤu-
ſern, die du jezt ſo ruͤhmſt, Leuthe zeigen will,
die voll und toll heimkommen.

Er hatte darinn recht. Der Morgen die-
ſes Maͤyenmarkts war ſo ſchoͤn; die Sonne
gieng wie ein pures Gold auf, und die Even
in Bonnal ſahen fruͤhe unter ihren Thuͤren und
Fenſtern nach der ſchoͤnen Sonne, und nach
dem Weg, der ihnen alſo hinab ins Dorf in die
Augen ſchiene, und ſagten bald uͤber Gaſſen
und Gaͤrten hinuͤber zu einander, wie ſchoͤn
das ein Tag ſey! — und wie luſtig es waͤr,
wenn ſie auch doͤrften — —

Aber der Pfarrer hatte in der Kirche gewar-
net, der Aebj im Barthaus gewettet, der Lieu-
tenant allerhand daruͤber in der Schul geſagt,
und geſtern giengen ſie alle mit dem Vorſaz ins
Bett den Markt Markt ſeyn zu laſſen; aber
heute wars ihnen nicht wie geſtern. So wie
die Sonne ſtieg und warmte, ſo ſtieg und warm-
te in den Maͤnnern und Weibern von Bonnal
der Geluſt nach dem Markt.

Wir ſind doch keine Kinder mehr, und koͤn-

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[378/0400] Ein andermal gab ein alter Aebj dem jun- gen Reinold, der auch ſo an den Fingern die Haͤuſer abzaͤhlte, die in allen Gaſſen immer mehr in Ordnung kamen, zur Antwort: „Wart jezt nur noch bis die andere Woche an den Hir- zener Markt, und ich will denn ein Narr ſeyn, wenn ich dir denn nicht aus mehr als 20 Haͤu- ſern, die du jezt ſo ruͤhmſt, Leuthe zeigen will, die voll und toll heimkommen. Er hatte darinn recht. Der Morgen die- ſes Maͤyenmarkts war ſo ſchoͤn; die Sonne gieng wie ein pures Gold auf, und die Even in Bonnal ſahen fruͤhe unter ihren Thuͤren und Fenſtern nach der ſchoͤnen Sonne, und nach dem Weg, der ihnen alſo hinab ins Dorf in die Augen ſchiene, und ſagten bald uͤber Gaſſen und Gaͤrten hinuͤber zu einander, wie ſchoͤn das ein Tag ſey! — und wie luſtig es waͤr, wenn ſie auch doͤrften — — Aber der Pfarrer hatte in der Kirche gewar- net, der Aebj im Barthaus gewettet, der Lieu- tenant allerhand daruͤber in der Schul geſagt, und geſtern giengen ſie alle mit dem Vorſaz ins Bett den Markt Markt ſeyn zu laſſen; aber heute wars ihnen nicht wie geſtern. So wie die Sonne ſtieg und warmte, ſo ſtieg und warm- te in den Maͤnnern und Weibern von Bonnal der Geluſt nach dem Markt. Wir ſind doch keine Kinder mehr, und koͤn-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/400>, abgerufen am 27.04.2024.