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Pischel, Richard: Gedächtnisrede auf Albrecht Weber. Berlin, 1903.

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specimen cum commentario". Die Arbeit erschloß das ebenso wichtige wie
schwierige und umfangreiche Gebiet der Sakralliteratur. Alle Fortschritte,
die wir seitdem darin gemacht haben, gehen auf Weber zurück, der stets
der unerreichte Meister in diesem Zweige der indischen Literatur geblieben
ist. Die Dissertation zeigt bereits alle Eigenheiten von Webers Arbeits-
weise. Der 9. Adhyanya der Vanjasaneyisamhitan wird erst in Nangarischrift
gegeben, dann in lateinischer Umschrift, deren eifriger Verteidiger Weber
stets gewesen ist. Dann folgt eine lateinische Übersetzung und sehr um-
fangreiche Adnotationes, die Webers Belesenheit in hellstes Licht setzen,
zugleich aber schon seine Vorliebe fürs Etymologisieren zeigen, die sich
aus der damaligen Richtung der indischen Philologie erklärt. Weber hat
sich nie davon freimachen können. In seinen Vorlesungen über den Rg-
und Atharvaveda spielten die Etymologie der dunklen vedischen Worte und
die Annahme von Textverderbnissen, wenn der Text sich einer voraus-
gesetzten Erklärung nicht fügen wollte, die Hauptrolle. Weber hielt daran
mit großer Zähigkeit fest und wies jeden Versuch, den Veda auf andere
Weise zu erklären, zurück. Das starre Hängen an dem, was er einmal
ausgesprochen hatte und für richtig hielt, war ein Grundzug seines Cha-
rakters. Unter Umständen konnte er auch gegen seine besten Freunde
schroff werden, und er wachte ängstlich darüber, daß seine Ansichten von
ihnen genau so wiedergegeben wurden, wie er es wünschte. Aber er war
auch immer bereit, für seine Freunde einzutreten und jeden Angriff auf sie
abzuwehren. Er wurde bald und blieb immer der Mittelpunkt des Kreises,
dessen Mitgliedern die indische Philologie ihr rasches Emporblühen zum
größten Teile verdankt.

Ein Reisestipendium der Akademie der Wissenschaften ermöglichte es
Weber, nach der Promotion auf zwei Jahre nach Paris, London und Ox-
ford zu gehen, um die handschriftlichen Schätze der dortigen Bibliotheken
auszunutzen, worauf man damals angewiesen war. Vor allem wollte er
das Material zu einer Ausgabe des weißen Yajurveda und der zu ihm ge-
hörenden Schriften sammeln, eine Aufgabe, zu der ihn Stenzler angeregt
und die er mit seiner Dissertation zu lösen begonnen hatte. Er begnügte
sich aber damit nicht. Als er 1848 nach Deutschland zurückkam, brachte
er eine riesige Masse sorgfältiger Abschriften von Manuskripten mit sich,
die von seiner Arbeitskraft und seinem unermüdlichen Fleiße beredtes
Zeugnis ablegten. Bald nach seiner Rückkehr habilitierte er sich in Berlin,


R. PISCHEL:

specimen cum commentario«. Die Arbeit erschloß das ebenso wichtige wie
schwierige und umfangreiche Gebiet der Sakralliteratur. Alle Fortschritte,
die wir seitdem darin gemacht haben, gehen auf Weber zurück, der stets
der unerreichte Meister in diesem Zweige der indischen Literatur geblieben
ist. Die Dissertation zeigt bereits alle Eigenheiten von Webers Arbeits-
weise. Der 9. Adhyāya der Vājasaneyisamhitā wird erst in Nāgarīschrift
gegeben, dann in lateinischer Umschrift, deren eifriger Verteidiger Weber
stets gewesen ist. Dann folgt eine lateinische Übersetzung und sehr um-
fangreiche Adnotationes, die Webers Belesenheit in hellstes Licht setzen,
zugleich aber schon seine Vorliebe fürs Etymologisieren zeigen, die sich
aus der damaligen Richtung der indischen Philologie erklärt. Weber hat
sich nie davon freimachen können. In seinen Vorlesungen über den Ṛg-
und Atharvaveda spielten die Etymologie der dunklen vedischen Worte und
die Annahme von Textverderbnissen, wenn der Text sich einer voraus-
gesetzten Erklärung nicht fügen wollte, die Hauptrolle. Weber hielt daran
mit großer Zähigkeit fest und wies jeden Versuch, den Veda auf andere
Weise zu erklären, zurück. Das starre Hängen an dem, was er einmal
ausgesprochen hatte und für richtig hielt, war ein Grundzug seines Cha-
rakters. Unter Umständen konnte er auch gegen seine besten Freunde
schroff werden, und er wachte ängstlich darüber, daß seine Ansichten von
ihnen genau so wiedergegeben wurden, wie er es wünschte. Aber er war
auch immer bereit, für seine Freunde einzutreten und jeden Angriff auf sie
abzuwehren. Er wurde bald und blieb immer der Mittelpunkt des Kreises,
dessen Mitgliedern die indische Philologie ihr rasches Emporblühen zum
größten Teile verdankt.

Ein Reisestipendium der Akademie der Wissenschaften ermöglichte es
Weber, nach der Promotion auf zwei Jahre nach Paris, London und Ox-
ford zu gehen, um die handschriftlichen Schätze der dortigen Bibliotheken
auszunutzen, worauf man damals angewiesen war. Vor allem wollte er
das Material zu einer Ausgabe des weißen Yajurveda und der zu ihm ge-
hörenden Schriften sammeln, eine Aufgabe, zu der ihn Stenzler angeregt
und die er mit seiner Dissertation zu lösen begonnen hatte. Er begnügte
sich aber damit nicht. Als er 1848 nach Deutschland zurückkam, brachte
er eine riesige Masse sorgfältiger Abschriften von Manuskripten mit sich,
die von seiner Arbeitskraft und seinem unermüdlichen Fleiße beredtes
Zeugnis ablegten. Bald nach seiner Rückkehr habilitierte er sich in Berlin,

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[4/0006] 4 R. PISCHEL: specimen cum commentario«. Die Arbeit erschloß das ebenso wichtige wie schwierige und umfangreiche Gebiet der Sakralliteratur. Alle Fortschritte, die wir seitdem darin gemacht haben, gehen auf Weber zurück, der stets der unerreichte Meister in diesem Zweige der indischen Literatur geblieben ist. Die Dissertation zeigt bereits alle Eigenheiten von Webers Arbeits- weise. Der 9. Adhyāya der Vājasaneyisamhitā wird erst in Nāgarīschrift gegeben, dann in lateinischer Umschrift, deren eifriger Verteidiger Weber stets gewesen ist. Dann folgt eine lateinische Übersetzung und sehr um- fangreiche Adnotationes, die Webers Belesenheit in hellstes Licht setzen, zugleich aber schon seine Vorliebe fürs Etymologisieren zeigen, die sich aus der damaligen Richtung der indischen Philologie erklärt. Weber hat sich nie davon freimachen können. In seinen Vorlesungen über den Ṛg- und Atharvaveda spielten die Etymologie der dunklen vedischen Worte und die Annahme von Textverderbnissen, wenn der Text sich einer voraus- gesetzten Erklärung nicht fügen wollte, die Hauptrolle. Weber hielt daran mit großer Zähigkeit fest und wies jeden Versuch, den Veda auf andere Weise zu erklären, zurück. Das starre Hängen an dem, was er einmal ausgesprochen hatte und für richtig hielt, war ein Grundzug seines Cha- rakters. Unter Umständen konnte er auch gegen seine besten Freunde schroff werden, und er wachte ängstlich darüber, daß seine Ansichten von ihnen genau so wiedergegeben wurden, wie er es wünschte. Aber er war auch immer bereit, für seine Freunde einzutreten und jeden Angriff auf sie abzuwehren. Er wurde bald und blieb immer der Mittelpunkt des Kreises, dessen Mitgliedern die indische Philologie ihr rasches Emporblühen zum größten Teile verdankt. Ein Reisestipendium der Akademie der Wissenschaften ermöglichte es Weber, nach der Promotion auf zwei Jahre nach Paris, London und Ox- ford zu gehen, um die handschriftlichen Schätze der dortigen Bibliotheken auszunutzen, worauf man damals angewiesen war. Vor allem wollte er das Material zu einer Ausgabe des weißen Yajurveda und der zu ihm ge- hörenden Schriften sammeln, eine Aufgabe, zu der ihn Stenzler angeregt und die er mit seiner Dissertation zu lösen begonnen hatte. Er begnügte sich aber damit nicht. Als er 1848 nach Deutschland zurückkam, brachte er eine riesige Masse sorgfältiger Abschriften von Manuskripten mit sich, die von seiner Arbeitskraft und seinem unermüdlichen Fleiße beredtes Zeugnis ablegten. Bald nach seiner Rückkehr habilitierte er sich in Berlin,

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Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Digitalisate und OCR. (2020-03-03T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, OCR-D: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-03-04T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Pischel, Richard: Gedächtnisrede auf Albrecht Weber. Berlin, 1903, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pischel_weber_1903/6>, abgerufen am 30.04.2024.