Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_016.001
und von dem Redner, welcher durch die rednerischen ppo_016.002
Formen unmittelbar auf den Willen wirken ppo_016.003
und denselben zu Handlungen bestimmen will. ppo_016.004
Beide Zwecke liegen außer dem Kreise des Dichters; ppo_016.005
denn der Dichter folgt ausschließend dem unermeßlichen ppo_016.006
Drange seiner Gefühle und der, nach ppo_016.007
ihrem Zusammenhange mit dem Gefühlsvermögen ppo_016.008
unerklärbaren, Wirksamkeit seiner Einbildungskraft. ppo_016.009
Jn dem Augenblicke seines Erzeugnisses denkt der ppo_016.010
Dichter nicht an die Wirkung, die er hervorbringen ppo_016.011
wird, und beabsichtigt keine solche Wirkung; allein ppo_016.012
indem sein gebildeter Geist eine dichterische Form ppo_016.013
ins Daseyn ruft, erhält dieselbe auch sogleich, durch ppo_016.014
den erreichten hohen Grad seiner individuelle Reife, ppo_016.015
diejenige Gediegenheit, wodurch sie unwiderstehlich ppo_016.016
auf Gefühl und Einbildungskraft zu wirken vermag.

ppo_016.017

Am Wesentlichsten unterscheidet sich aber der ppo_016.018
Dichter dadurch von dem Prosaiker und dem Redner, ppo_016.019
daß, ob er gleich nur zunächst seine individuellen Gefühle ppo_016.020
unter der dichterischen Form darstellt, er doch ppo_016.021
dadurch als Repräsentant seines ganzen Geschlechts ppo_016.022
erscheint. Denn die Gefühle, welche in ppo_016.023
ihm angeregt waren und die Vollendung des Kunstwerkes ppo_016.024
bewirkten, entspringen aus den Jdealen, ppo_016.025
welche ein Gemeingut der ganzen gebildeten Menschheit ppo_016.026
sind*. Er versinnlicht daher die reine

* ppo_016.027
Derselben Meinung ist Schiller in s. Recension von ppo_016.028
Bürgers Gedichten; vgl. s. kl. prof. Schriften, ppo_016.029
Th. 4. S. 193 ff. "Alles, was der Dichter ppo_016.030
uns geben kann, ist seine Jndividualität. Diese muß ppo_016.031
es also werth seyn, vor Welt und Nachwelt ausgestellt ppo_016.032
zu werden. Diese seine Jndividualität so sehr ppo_016.033
als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten ppo_016.034
Menschheit hinauf zu läutern, ist sein erstes und wichtigstes

ppo_016.001
und von dem Redner, welcher durch die rednerischen ppo_016.002
Formen unmittelbar auf den Willen wirken ppo_016.003
und denselben zu Handlungen bestimmen will. ppo_016.004
Beide Zwecke liegen außer dem Kreise des Dichters; ppo_016.005
denn der Dichter folgt ausschließend dem unermeßlichen ppo_016.006
Drange seiner Gefühle und der, nach ppo_016.007
ihrem Zusammenhange mit dem Gefühlsvermögen ppo_016.008
unerklärbaren, Wirksamkeit seiner Einbildungskraft. ppo_016.009
Jn dem Augenblicke seines Erzeugnisses denkt der ppo_016.010
Dichter nicht an die Wirkung, die er hervorbringen ppo_016.011
wird, und beabsichtigt keine solche Wirkung; allein ppo_016.012
indem sein gebildeter Geist eine dichterische Form ppo_016.013
ins Daseyn ruft, erhält dieselbe auch sogleich, durch ppo_016.014
den erreichten hohen Grad seiner individuelle Reife, ppo_016.015
diejenige Gediegenheit, wodurch sie unwiderstehlich ppo_016.016
auf Gefühl und Einbildungskraft zu wirken vermag.

ppo_016.017

Am Wesentlichsten unterscheidet sich aber der ppo_016.018
Dichter dadurch von dem Prosaiker und dem Redner, ppo_016.019
daß, ob er gleich nur zunächst seine individuellen Gefühle ppo_016.020
unter der dichterischen Form darstellt, er doch ppo_016.021
dadurch als Repräsentant seines ganzen Geschlechts ppo_016.022
erscheint. Denn die Gefühle, welche in ppo_016.023
ihm angeregt waren und die Vollendung des Kunstwerkes ppo_016.024
bewirkten, entspringen aus den Jdealen, ppo_016.025
welche ein Gemeingut der ganzen gebildeten Menschheit ppo_016.026
sind*. Er versinnlicht daher die reine

* ppo_016.027
Derselben Meinung ist Schiller in s. Recension von ppo_016.028
Bürgers Gedichten; vgl. s. kl. prof. Schriften, ppo_016.029
Th. 4. S. 193 ff. „Alles, was der Dichter ppo_016.030
uns geben kann, ist seine Jndividualität. Diese muß ppo_016.031
es also werth seyn, vor Welt und Nachwelt ausgestellt ppo_016.032
zu werden. Diese seine Jndividualität so sehr ppo_016.033
als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten ppo_016.034
Menschheit hinauf zu läutern, ist sein erstes und wichtigstes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="16"/><lb n="ppo_016.001"/> und von dem Redner, welcher durch die rednerischen <lb n="ppo_016.002"/>Formen unmittelbar auf den Willen wirken <lb n="ppo_016.003"/>und denselben zu Handlungen bestimmen will. <lb n="ppo_016.004"/>Beide Zwecke liegen außer dem Kreise des Dichters; <lb n="ppo_016.005"/>denn der Dichter folgt ausschließend dem unermeßlichen <lb n="ppo_016.006"/>Drange seiner Gefühle und der, nach <lb n="ppo_016.007"/>ihrem Zusammenhange mit dem Gefühlsvermögen <lb n="ppo_016.008"/>unerklärbaren, Wirksamkeit seiner Einbildungskraft. <lb n="ppo_016.009"/>Jn dem Augenblicke seines Erzeugnisses denkt der <lb n="ppo_016.010"/>Dichter nicht an die Wirkung, die er hervorbringen <lb n="ppo_016.011"/>wird, und beabsichtigt keine solche Wirkung; allein <lb n="ppo_016.012"/>indem sein gebildeter Geist eine dichterische Form <lb n="ppo_016.013"/>ins Daseyn ruft, erhält dieselbe auch sogleich, durch <lb n="ppo_016.014"/>den erreichten hohen Grad seiner individuelle Reife, <lb n="ppo_016.015"/>diejenige Gediegenheit, wodurch sie unwiderstehlich <lb n="ppo_016.016"/>auf Gefühl und Einbildungskraft zu wirken vermag.</p>
          <lb n="ppo_016.017"/>
          <p>  Am Wesentlichsten unterscheidet sich aber der <lb n="ppo_016.018"/>Dichter dadurch von dem Prosaiker und dem Redner, <lb n="ppo_016.019"/>daß, ob er gleich nur zunächst <hi rendition="#g">seine</hi> individuellen Gefühle <lb n="ppo_016.020"/>unter der dichterischen Form darstellt, er doch <lb n="ppo_016.021"/>dadurch als <hi rendition="#g">Repräsentant seines ganzen Geschlechts</hi> <lb n="ppo_016.022"/>erscheint. Denn die Gefühle, welche in <lb n="ppo_016.023"/>ihm angeregt waren und die Vollendung des Kunstwerkes <lb n="ppo_016.024"/>bewirkten, entspringen aus den Jdealen, <lb n="ppo_016.025"/>welche ein Gemeingut der ganzen gebildeten Menschheit <lb n="ppo_016.026"/>sind<note xml:id="PPO_016_a" n="*" place="foot" next="#PPO_016_b"><lb n="ppo_016.027"/> Derselben Meinung ist <hi rendition="#g">Schiller</hi> in s. Recension von <lb n="ppo_016.028"/><hi rendition="#g">Bürgers</hi> Gedichten; vgl. s. <hi rendition="#g">kl. prof. Schriften,</hi> <lb n="ppo_016.029"/>Th. 4. S. 193 ff. &#x201E;Alles, was der Dichter <lb n="ppo_016.030"/>uns geben kann, ist seine Jndividualität. Diese muß <lb n="ppo_016.031"/>es also werth seyn, vor Welt und Nachwelt ausgestellt <lb n="ppo_016.032"/>zu werden. Diese seine Jndividualität so sehr <lb n="ppo_016.033"/>als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten     <lb n="ppo_016.034"/>Menschheit hinauf zu läutern, ist sein erstes und wichtigstes</note>. Er versinnlicht daher die <hi rendition="#g">reine
</hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0028] ppo_016.001 und von dem Redner, welcher durch die rednerischen ppo_016.002 Formen unmittelbar auf den Willen wirken ppo_016.003 und denselben zu Handlungen bestimmen will. ppo_016.004 Beide Zwecke liegen außer dem Kreise des Dichters; ppo_016.005 denn der Dichter folgt ausschließend dem unermeßlichen ppo_016.006 Drange seiner Gefühle und der, nach ppo_016.007 ihrem Zusammenhange mit dem Gefühlsvermögen ppo_016.008 unerklärbaren, Wirksamkeit seiner Einbildungskraft. ppo_016.009 Jn dem Augenblicke seines Erzeugnisses denkt der ppo_016.010 Dichter nicht an die Wirkung, die er hervorbringen ppo_016.011 wird, und beabsichtigt keine solche Wirkung; allein ppo_016.012 indem sein gebildeter Geist eine dichterische Form ppo_016.013 ins Daseyn ruft, erhält dieselbe auch sogleich, durch ppo_016.014 den erreichten hohen Grad seiner individuelle Reife, ppo_016.015 diejenige Gediegenheit, wodurch sie unwiderstehlich ppo_016.016 auf Gefühl und Einbildungskraft zu wirken vermag. ppo_016.017 Am Wesentlichsten unterscheidet sich aber der ppo_016.018 Dichter dadurch von dem Prosaiker und dem Redner, ppo_016.019 daß, ob er gleich nur zunächst seine individuellen Gefühle ppo_016.020 unter der dichterischen Form darstellt, er doch ppo_016.021 dadurch als Repräsentant seines ganzen Geschlechts ppo_016.022 erscheint. Denn die Gefühle, welche in ppo_016.023 ihm angeregt waren und die Vollendung des Kunstwerkes ppo_016.024 bewirkten, entspringen aus den Jdealen, ppo_016.025 welche ein Gemeingut der ganzen gebildeten Menschheit ppo_016.026 sind *. Er versinnlicht daher die reine * ppo_016.027 Derselben Meinung ist Schiller in s. Recension von ppo_016.028 Bürgers Gedichten; vgl. s. kl. prof. Schriften, ppo_016.029 Th. 4. S. 193 ff. „Alles, was der Dichter ppo_016.030 uns geben kann, ist seine Jndividualität. Diese muß ppo_016.031 es also werth seyn, vor Welt und Nachwelt ausgestellt ppo_016.032 zu werden. Diese seine Jndividualität so sehr ppo_016.033 als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten ppo_016.034 Menschheit hinauf zu läutern, ist sein erstes und wichtigstes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/28
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/28>, abgerufen am 26.04.2024.