Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_025.001
gereimte teutsche Gedicht, -- die evangelische ppo_025.002
Geschichte des Weißenburger Mönchs Otfried, ppo_025.003
-- ins neunte Jahrhundert gehört. Der Reim ist ppo_025.004
in der Natur der teutschen Sprache selbst gegründet, ppo_025.005
und bereits die Kirchenväter des vierten Jahrhunderts ppo_025.006
* reimten, nach Art der neuern Völker, ppo_025.007
lateinische Lieder. Allein die altsächsische Dichtkunst, ppo_025.008
welche von Holstein nach England gebracht ppo_025.009
ward, kannte so wenig den Reim, als die Dichtersprache ppo_025.010
des skandinavischen Nordens, in welcher nur ppo_025.011
die Alliteration (der Gleichklang in den Anfangsbuchstaben ppo_025.012
der Wörter) getroffen wird.

ppo_025.013

Wenn also auch der Reim einzelnen teutschen ppo_025.014
Völkerschaften bereits bekannt war; so verbreitete ppo_025.015
sich doch sein allgemeiner Gebrauch erst später mit ppo_025.016
der sogenannten Ritterpoesie über Teutschland, ppo_025.017
welche von den Arabern zu den Franzosen ins südliche ppo_025.018
Frankreich, wo sie die Troubadours ausbildeten, ppo_025.019
und von diesen zu den Teutschen kam, die seit ppo_025.020
der Mitte des zwölften Jahrhunderts mit glücklichem ppo_025.021
Erfolge in derselben sich versuchten. Jn geschichtlicher ppo_025.022
Hinsicht darf dabei nicht übersehen werden, ppo_025.023
daß die Provence zum burgundischen Reiche ppo_025.024
gehörte, das bereits im Jahre 1032, als Nebenreich, ppo_025.025
mit Teutschland unter Einem Regenten vereinigt ppo_025.026
ward.

ppo_025.027

Allein der Reim im Mittelalter, so viel auch ppo_025.028
durch die lyrischen und epischen Dichter im Zeitalter ppo_025.029
der Minnesänger für ihn geschah, konnte im ppo_025.030
Ganzen nicht vollkommener seyn, als die Sprache ppo_025.031
selbst damals war. Seine freiere und mannigfaltigere

* ppo_025.032
Vgl. Grotefends Anfangsgründe der teutschen ppo_025.033
Prosodie (Gießen, 1815. 8.) S. 163 ff.

ppo_025.001
gereimte teutsche Gedicht, — die evangelische ppo_025.002
Geschichte des Weißenburger Mönchs Otfried, ppo_025.003
— ins neunte Jahrhundert gehört. Der Reim ist ppo_025.004
in der Natur der teutschen Sprache selbst gegründet, ppo_025.005
und bereits die Kirchenväter des vierten Jahrhunderts ppo_025.006
* reimten, nach Art der neuern Völker, ppo_025.007
lateinische Lieder. Allein die altsächsische Dichtkunst, ppo_025.008
welche von Holstein nach England gebracht ppo_025.009
ward, kannte so wenig den Reim, als die Dichtersprache ppo_025.010
des skandinavischen Nordens, in welcher nur ppo_025.011
die Alliteration (der Gleichklang in den Anfangsbuchstaben ppo_025.012
der Wörter) getroffen wird.

ppo_025.013

Wenn also auch der Reim einzelnen teutschen ppo_025.014
Völkerschaften bereits bekannt war; so verbreitete ppo_025.015
sich doch sein allgemeiner Gebrauch erst später mit ppo_025.016
der sogenannten Ritterpoesie über Teutschland, ppo_025.017
welche von den Arabern zu den Franzosen ins südliche ppo_025.018
Frankreich, wo sie die Troubadours ausbildeten, ppo_025.019
und von diesen zu den Teutschen kam, die seit ppo_025.020
der Mitte des zwölften Jahrhunderts mit glücklichem ppo_025.021
Erfolge in derselben sich versuchten. Jn geschichtlicher ppo_025.022
Hinsicht darf dabei nicht übersehen werden, ppo_025.023
daß die Provence zum burgundischen Reiche ppo_025.024
gehörte, das bereits im Jahre 1032, als Nebenreich, ppo_025.025
mit Teutschland unter Einem Regenten vereinigt ppo_025.026
ward.

ppo_025.027

Allein der Reim im Mittelalter, so viel auch ppo_025.028
durch die lyrischen und epischen Dichter im Zeitalter ppo_025.029
der Minnesänger für ihn geschah, konnte im ppo_025.030
Ganzen nicht vollkommener seyn, als die Sprache ppo_025.031
selbst damals war. Seine freiere und mannigfaltigere

* ppo_025.032
Vgl. Grotefends Anfangsgründe der teutschen ppo_025.033
Prosodie (Gießen, 1815. 8.) S. 163 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="25"/><lb n="ppo_025.001"/><hi rendition="#g">gereimte</hi> teutsche Gedicht, &#x2014; die evangelische <lb n="ppo_025.002"/>Geschichte des Weißenburger Mönchs <hi rendition="#g">Otfried,</hi> <lb n="ppo_025.003"/>&#x2014; ins neunte Jahrhundert gehört. Der Reim ist <lb n="ppo_025.004"/>in der Natur der teutschen Sprache selbst gegründet, <lb n="ppo_025.005"/>und bereits die Kirchenväter des vierten Jahrhunderts <lb n="ppo_025.006"/><note xml:id="PPO_025_a" place="foot" n="*"><lb n="ppo_025.032"/> Vgl. <hi rendition="#g">Grotefends</hi> Anfangsgründe der teutschen <lb n="ppo_025.033"/>Prosodie (Gießen, 1815. 8.) S. 163 ff.</note> <hi rendition="#g">reimten,</hi> nach Art der neuern Völker, <lb n="ppo_025.007"/>lateinische Lieder. Allein die altsächsische Dichtkunst, <lb n="ppo_025.008"/>welche von Holstein nach England gebracht <lb n="ppo_025.009"/>ward, kannte so wenig den Reim, als die Dichtersprache <lb n="ppo_025.010"/>des skandinavischen Nordens, in welcher nur <lb n="ppo_025.011"/>die <hi rendition="#g">Alliteration</hi> (der Gleichklang in den Anfangsbuchstaben <lb n="ppo_025.012"/>der Wörter) getroffen wird.</p>
          <lb n="ppo_025.013"/>
          <p>  Wenn also auch der Reim einzelnen teutschen <lb n="ppo_025.014"/>Völkerschaften bereits bekannt war; so verbreitete <lb n="ppo_025.015"/>sich doch sein allgemeiner Gebrauch erst später mit <lb n="ppo_025.016"/>der sogenannten <hi rendition="#g">Ritterpoesie</hi> über Teutschland, <lb n="ppo_025.017"/>welche von den Arabern zu den Franzosen ins südliche <lb n="ppo_025.018"/>Frankreich, wo sie die Troubadours ausbildeten, <lb n="ppo_025.019"/>und von diesen zu den Teutschen kam, die seit <lb n="ppo_025.020"/>der Mitte des zwölften Jahrhunderts mit glücklichem <lb n="ppo_025.021"/>Erfolge in derselben sich versuchten. Jn geschichtlicher <lb n="ppo_025.022"/>Hinsicht darf dabei nicht übersehen werden, <lb n="ppo_025.023"/>daß die Provence zum burgundischen Reiche <lb n="ppo_025.024"/>gehörte, das bereits im Jahre 1032, als Nebenreich, <lb n="ppo_025.025"/>mit Teutschland unter Einem Regenten vereinigt <lb n="ppo_025.026"/>ward.</p>
          <lb n="ppo_025.027"/>
          <p>  Allein der Reim im Mittelalter, so viel auch <lb n="ppo_025.028"/>durch die lyrischen und epischen Dichter im Zeitalter <lb n="ppo_025.029"/>der Minnesänger für ihn geschah, konnte im <lb n="ppo_025.030"/>Ganzen nicht vollkommener seyn, als die Sprache <lb n="ppo_025.031"/>selbst damals war. Seine freiere und mannigfaltigere
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0037] ppo_025.001 gereimte teutsche Gedicht, — die evangelische ppo_025.002 Geschichte des Weißenburger Mönchs Otfried, ppo_025.003 — ins neunte Jahrhundert gehört. Der Reim ist ppo_025.004 in der Natur der teutschen Sprache selbst gegründet, ppo_025.005 und bereits die Kirchenväter des vierten Jahrhunderts ppo_025.006 * reimten, nach Art der neuern Völker, ppo_025.007 lateinische Lieder. Allein die altsächsische Dichtkunst, ppo_025.008 welche von Holstein nach England gebracht ppo_025.009 ward, kannte so wenig den Reim, als die Dichtersprache ppo_025.010 des skandinavischen Nordens, in welcher nur ppo_025.011 die Alliteration (der Gleichklang in den Anfangsbuchstaben ppo_025.012 der Wörter) getroffen wird. ppo_025.013 Wenn also auch der Reim einzelnen teutschen ppo_025.014 Völkerschaften bereits bekannt war; so verbreitete ppo_025.015 sich doch sein allgemeiner Gebrauch erst später mit ppo_025.016 der sogenannten Ritterpoesie über Teutschland, ppo_025.017 welche von den Arabern zu den Franzosen ins südliche ppo_025.018 Frankreich, wo sie die Troubadours ausbildeten, ppo_025.019 und von diesen zu den Teutschen kam, die seit ppo_025.020 der Mitte des zwölften Jahrhunderts mit glücklichem ppo_025.021 Erfolge in derselben sich versuchten. Jn geschichtlicher ppo_025.022 Hinsicht darf dabei nicht übersehen werden, ppo_025.023 daß die Provence zum burgundischen Reiche ppo_025.024 gehörte, das bereits im Jahre 1032, als Nebenreich, ppo_025.025 mit Teutschland unter Einem Regenten vereinigt ppo_025.026 ward. ppo_025.027 Allein der Reim im Mittelalter, so viel auch ppo_025.028 durch die lyrischen und epischen Dichter im Zeitalter ppo_025.029 der Minnesänger für ihn geschah, konnte im ppo_025.030 Ganzen nicht vollkommener seyn, als die Sprache ppo_025.031 selbst damals war. Seine freiere und mannigfaltigere * ppo_025.032 Vgl. Grotefends Anfangsgründe der teutschen ppo_025.033 Prosodie (Gießen, 1815. 8.) S. 163 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/37
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/37>, abgerufen am 26.04.2024.