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Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

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weder der Zweck und die Bestimmung der dramatischen ppo_372.005
Dichtkunst im Besondern, noch der Dichtkunst ppo_372.006
überhaupt, der Zweck der Sittlichkeit. Der ppo_372.007
Zweck der Schönheit ist vielmehr der höchste ppo_372.008
Zweck aller Kunstwerke, mithin auch der gesammten ppo_372.009
einzelnen Formen der lyrischen, epischen, didactischen ppo_372.010
und dramatischen Dichtkunst. Die Bestimmung der ppo_372.011
Dichtkunst beruht daher auf ihrer völligen Angemessenheit ppo_372.012
zum Gesetze der Form, nicht aber zum Sittengesetze. ppo_372.013
Daraus folgt aber weder, daß sie sittliche ppo_372.014
Handlungen von sich ausschließen, noch daß sie vielleicht ppo_372.015
gar das Unsittliche als Gegenstand des Wohlgefallens ppo_372.016
auf die Bühne bringen soll. Nur so viel ppo_372.017
ergiebt sich aus dem höchsten Gesetze der Schönheit ppo_372.018
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das die Bühne zeichnet, unter der Form der ppo_372.020
Schönheit sich ankündigen muß,
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unter die Stoffe der dramatischen Dichtkunst aufgenommen ppo_372.022
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dieser Bedingung, wird allerdings der aus dem ppo_372.024
Kreise der sittlichen Welt entlehnte Stoff das Gemüth ppo_372.025
weit stärker ansprechen, als ein Stoff, der ppo_372.026
blos dem Kreise der intellectuellen Welt -- z. B. ppo_372.027
der Vergegenwärtigung von Schwächen und Mängeln ppo_372.028
des menschlichen Verstandes, oder von Wirkungen ppo_372.029
des menschlichen Eigennutzes und der individuellen ppo_372.030
Eitelkeit, -- angehört. Mag immer in ppo_372.031
Kotzebue's Lustspielen und Possen ein Langsalm, ppo_372.032
ein Herr von Püffelberg, oder der Page in den ppo_372.033
Pagenstreichen ein Gefühl der Lust in uns anregen, ppo_372.034
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Nach unsrer Ansicht und Ueberzeugung ist ppo_372.004
weder der Zweck und die Bestimmung der dramatischen ppo_372.005
Dichtkunst im Besondern, noch der Dichtkunst ppo_372.006
überhaupt, der Zweck der Sittlichkeit. Der ppo_372.007
Zweck der Schönheit ist vielmehr der höchste ppo_372.008
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Dichtkunst beruht daher auf ihrer völligen Angemessenheit ppo_372.012
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Daraus folgt aber weder, daß sie sittliche ppo_372.014
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Schönheit sich ankündigen muß,
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Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/384>, abgerufen am 15.05.2024.