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Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

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lebendiges Spiel versetzen; so wird doch die sittliche ppo_373.002
Kraft und Haltung des Marquis von Posa, ppo_373.003
des Max Piccolomini, und des Klingemannischen ppo_373.004
Luthers unser Gefühl stärker und mächtiger ergreifen, ppo_373.005
als die bloße Versinnlichung menschlicher Schwächen, ppo_373.006
Lächerlichkeiten und Verirrungen. Deshalb ist auch ppo_373.007
das Sittliche dem Schönen nahe verwandt, und ppo_373.008
wirkt unaufhaltbar, sobald es unter einer vollendeten ppo_373.009
schönen Form erscheint. Nur darf weder das ppo_373.010
dramatische Gedicht, noch die Bühne, an die Stelle ppo_373.011
der Sittenlehre und der Religion auf dem Katheder ppo_373.012
und der Kanzel treten und diese beiden geistigen ppo_373.013
Bildungsanstalten ersetzen sollen, weil sie dies, nach ppo_373.014
ihrer ursprünglichen Bestimmung, das Schöne ppo_373.015
in vollendeten Formen darzustellen,
weder ppo_373.016
zu leisten vermögen noch dürfen. Nur also unter dieser ppo_373.017
Voraussetzung, und mit Festhaltung dieser Einschränkung ppo_373.018
unterschreiben wir folgende Sätze Schillers ppo_373.019
*: "Welche Verstärkung für Religion und ppo_373.020
Gesetze, wenn sie mit der Schaubühne in Bund ppo_373.021
treten, wo Anschauung und lebendige Gegenwart ppo_373.022
ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit und ppo_373.023
Elend, Thorheit und Weisheit in tausend Gemälden ppo_373.024
faßlich und wahr an dem Menschen vorübergehen, ppo_373.025
wo die Vorsehung ihre Räthsel auflöset, ihren Knoten ppo_373.026
vor seinen Augen entwickelt, wo das menschliche ppo_373.027
Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten ppo_373.028
Regungen beichtet, alle Larven fallen, alle Schminke ppo_373.029
verfliegt, und die Wahrheit, unbestechlich wie Rhadamanthus, ppo_373.030
Gericht hält. Die Gerichtsbarkeit der ppo_373.031
Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze ppo_373.032
sich endigt. Wenn die Gerechtigkeit für Gold

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Ebendas. S. 7. ff.

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lebendiges Spiel versetzen; so wird doch die sittliche ppo_373.002
Kraft und Haltung des Marquis von Posa, ppo_373.003
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schönen Form erscheint. Nur darf weder das ppo_373.010
dramatische Gedicht, noch die Bühne, an die Stelle ppo_373.011
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Bildungsanstalten ersetzen sollen, weil sie dies, nach ppo_373.014
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in vollendeten Formen darzustellen,
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Voraussetzung, und mit Festhaltung dieser Einschränkung ppo_373.018
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Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/385>, abgerufen am 16.05.2024.