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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Hatten sie ihm das Büschelgewende also doch zugepflanzt! --
Wie viele Tage und Stunden mühevoller Arbeit, mit Pflug
und Egge, steckten in dem Boden! Und diese Arbeit war für
nichts und wieder nichts gewesen. Was er im Laufe eines
Lebens der Wildnis entrissen, hatte die gräfliche Forstver¬
waltung in wenigen Tagen zupflanzen lassen.

Also auch dieses Zeugnis seines Schaffens war vernichtet;
so hatten sie ihm denn alle Maschen seines Lebenswerkes auf¬
gelöst.

Er stand und starrte die grünen Spitzen der Fichten¬
pflänzchen an. Eine dumpfe Wut stieg in ihm auf.

Da fiel ihm noch zur rechten Zeit ein, wie sinnlos sein
Ärger sei; er brauchte sich ja nicht mehr zu ärgern. Nichts auf
der Welt ging ihm mehr was an, wie er keinem mehr was anging.

Noch einmal empfand er die ganze Wonne des wirklich
Einsamen, den Stolz, die Verachtung des Bedürfnislosen, der
im Begriffe ist, das letzte abgetragene Gewand von sich zu
werfen.

Er war mit hastigen Schritten an sein Ziel gelangt.
Hier stand der Kirschbaum, mit dunklem, glänzendem, wie
poliertem Schafte, bis in's kleinste Ästchen von zierlichen Blüten¬
kelchen bedeckt. Die ersten Bienen schwärmten bereits in der
Krone.

Traugott Büttner achtete nicht auf das Summen und
den Duft. Er maß den Baum mit prüfendem Blicke. Hier
der unterste Ast war stark genug. Wenn er auf den Stein¬
haufen stieg, konnte er ihn erreichen. Eine Schlinge -- dann
die Füße losgelassen, und dann . . . . . .

Wieder lief ihm ein Frösteln durch alle Glieder. Ein
Druck am Halse, als würde er ihm zugeschnürt, ein würgendes
Gefühl im Unterleibe; die Beine drohten, ihm den Dienst zu
versagen.

Er mußte sich, von Schwäche übermannt, an den Stamm
lehnen. Vor den Augen flimmerte es ihm. Er stand da mit
offenem Munde, stieren Blickes. Es war zu fürchterlich, was
er thun wollte: Hand an sich selbst legen! Fürchterlich! --

Hatten ſie ihm das Büſchelgewende alſo doch zugepflanzt! —
Wie viele Tage und Stunden mühevoller Arbeit, mit Pflug
und Egge, ſteckten in dem Boden! Und dieſe Arbeit war für
nichts und wieder nichts geweſen. Was er im Laufe eines
Lebens der Wildnis entriſſen, hatte die gräfliche Forſtver¬
waltung in wenigen Tagen zupflanzen laſſen.

Alſo auch dieſes Zeugnis ſeines Schaffens war vernichtet;
ſo hatten ſie ihm denn alle Maſchen ſeines Lebenswerkes auf¬
gelöſt.

Er ſtand und ſtarrte die grünen Spitzen der Fichten¬
pflänzchen an. Eine dumpfe Wut ſtieg in ihm auf.

Da fiel ihm noch zur rechten Zeit ein, wie ſinnlos ſein
Ärger ſei; er brauchte ſich ja nicht mehr zu ärgern. Nichts auf
der Welt ging ihm mehr was an, wie er keinem mehr was anging.

Noch einmal empfand er die ganze Wonne des wirklich
Einſamen, den Stolz, die Verachtung des Bedürfnisloſen, der
im Begriffe iſt, das letzte abgetragene Gewand von ſich zu
werfen.

Er war mit haſtigen Schritten an ſein Ziel gelangt.
Hier ſtand der Kirſchbaum, mit dunklem, glänzendem, wie
poliertem Schafte, bis in's kleinſte Äſtchen von zierlichen Blüten¬
kelchen bedeckt. Die erſten Bienen ſchwärmten bereits in der
Krone.

Traugott Büttner achtete nicht auf das Summen und
den Duft. Er maß den Baum mit prüfendem Blicke. Hier
der unterſte Aſt war ſtark genug. Wenn er auf den Stein¬
haufen ſtieg, konnte er ihn erreichen. Eine Schlinge — dann
die Füße losgelaſſen, und dann . . . . . .

Wieder lief ihm ein Fröſteln durch alle Glieder. Ein
Druck am Halſe, als würde er ihm zugeſchnürt, ein würgendes
Gefühl im Unterleibe; die Beine drohten, ihm den Dienſt zu
verſagen.

Er mußte ſich, von Schwäche übermannt, an den Stamm
lehnen. Vor den Augen flimmerte es ihm. Er ſtand da mit
offenem Munde, ſtieren Blickes. Es war zu fürchterlich, was
er thun wollte: Hand an ſich ſelbſt legen! Fürchterlich! —

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[425/0439] Hatten ſie ihm das Büſchelgewende alſo doch zugepflanzt! — Wie viele Tage und Stunden mühevoller Arbeit, mit Pflug und Egge, ſteckten in dem Boden! Und dieſe Arbeit war für nichts und wieder nichts geweſen. Was er im Laufe eines Lebens der Wildnis entriſſen, hatte die gräfliche Forſtver¬ waltung in wenigen Tagen zupflanzen laſſen. Alſo auch dieſes Zeugnis ſeines Schaffens war vernichtet; ſo hatten ſie ihm denn alle Maſchen ſeines Lebenswerkes auf¬ gelöſt. Er ſtand und ſtarrte die grünen Spitzen der Fichten¬ pflänzchen an. Eine dumpfe Wut ſtieg in ihm auf. Da fiel ihm noch zur rechten Zeit ein, wie ſinnlos ſein Ärger ſei; er brauchte ſich ja nicht mehr zu ärgern. Nichts auf der Welt ging ihm mehr was an, wie er keinem mehr was anging. Noch einmal empfand er die ganze Wonne des wirklich Einſamen, den Stolz, die Verachtung des Bedürfnisloſen, der im Begriffe iſt, das letzte abgetragene Gewand von ſich zu werfen. Er war mit haſtigen Schritten an ſein Ziel gelangt. Hier ſtand der Kirſchbaum, mit dunklem, glänzendem, wie poliertem Schafte, bis in's kleinſte Äſtchen von zierlichen Blüten¬ kelchen bedeckt. Die erſten Bienen ſchwärmten bereits in der Krone. Traugott Büttner achtete nicht auf das Summen und den Duft. Er maß den Baum mit prüfendem Blicke. Hier der unterſte Aſt war ſtark genug. Wenn er auf den Stein¬ haufen ſtieg, konnte er ihn erreichen. Eine Schlinge — dann die Füße losgelaſſen, und dann . . . . . . Wieder lief ihm ein Fröſteln durch alle Glieder. Ein Druck am Halſe, als würde er ihm zugeſchnürt, ein würgendes Gefühl im Unterleibe; die Beine drohten, ihm den Dienſt zu verſagen. Er mußte ſich, von Schwäche übermannt, an den Stamm lehnen. Vor den Augen flimmerte es ihm. Er ſtand da mit offenem Munde, ſtieren Blickes. Es war zu fürchterlich, was er thun wollte: Hand an ſich ſelbſt legen! Fürchterlich! —

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/439>, abgerufen am 29.04.2024.