Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn ihm das einer in der Jugend gesagt hätte, daß er
so enden werde!

Er betete ein Vaterunser, das erleichterte ihn. Dann
richtete er sich auf; der Furchtanfall war vorüber.

Er wollte sterben; tausendmal hatte er sich's überlegt. Es
war nicht das erste Mal, daß er mit dem Stricke in der Tasche
hier draußen stand. Bisher hatte ihn immer noch der Ge¬
danke an seine Kinder abgehalten, das Letzte zu thun. Sie
sollten ihn nicht so hängen sehen. --

Nun waren sie fort. Was die anderen sagen würden, die
Fremden, war ihm gleichgültig.

Heute wollte er's mal zu Ende führen. Er war ja gut
zum Sterben vorbereitet: war zur Beichte gewesen, hatte das
heilige Abendmahl genossen; Gott mußte ihm seine Sünde
vergeben. --

Jetzt stand er auf dem Steinhaufen, der Strick saß fest
am Aste, er brauchte nur den Kopf durch die Schlinge zu
stecken. --

Noch einmal hielt er inne. Sein Blick flog über die
Felder und Wiesen zu seinen Füßen. Das war sein Land, er
starb auf seinem Grund und Boden. Sein Auge suchte das
Vaterhaus; da unten lag es, winkte zu ihm herüber aus blühen¬
den Baumkronen.

Fast unbewußt streifte er die Schlinge über den Kopf.
Wenn er sich nun mit den Füßen abstieß, war's geschehen.

Noch ein Vaterunser!

Der Strick würgte ihn schon am Halse. Er fühlte die
Steine unter sich rollen. Unwillkürlich suchte er eine Stütze
mit den Füßen. Umsonst! Er hatte den Grund verloren,
sein Körper wurde lang.

Was war denn das an seinem Halse? Ein Band mit
eisernen Stacheln! -- Sie rissen ihm den Körper in Stücke!
Hing er denn? Er sah ja noch alles, ganz deutlich: dort,
die beiden Leute, zehn Schritt von ihm. --

So helft mir doch! Schneidet mich ab! Seht Ihr's denn
nicht! --

Wenn ihm das einer in der Jugend geſagt hätte, daß er
ſo enden werde!

Er betete ein Vaterunſer, das erleichterte ihn. Dann
richtete er ſich auf; der Furchtanfall war vorüber.

Er wollte ſterben; tauſendmal hatte er ſich's überlegt. Es
war nicht das erſte Mal, daß er mit dem Stricke in der Taſche
hier draußen ſtand. Bisher hatte ihn immer noch der Ge¬
danke an ſeine Kinder abgehalten, das Letzte zu thun. Sie
ſollten ihn nicht ſo hängen ſehen. —

Nun waren ſie fort. Was die anderen ſagen würden, die
Fremden, war ihm gleichgültig.

Heute wollte er's mal zu Ende führen. Er war ja gut
zum Sterben vorbereitet: war zur Beichte geweſen, hatte das
heilige Abendmahl genoſſen; Gott mußte ihm ſeine Sünde
vergeben. —

Jetzt ſtand er auf dem Steinhaufen, der Strick ſaß feſt
am Aſte, er brauchte nur den Kopf durch die Schlinge zu
ſtecken. —

Noch einmal hielt er inne. Sein Blick flog über die
Felder und Wieſen zu ſeinen Füßen. Das war ſein Land, er
ſtarb auf ſeinem Grund und Boden. Sein Auge ſuchte das
Vaterhaus; da unten lag es, winkte zu ihm herüber aus blühen¬
den Baumkronen.

Faſt unbewußt ſtreifte er die Schlinge über den Kopf.
Wenn er ſich nun mit den Füßen abſtieß, war's geſchehen.

Noch ein Vaterunſer!

Der Strick würgte ihn ſchon am Halſe. Er fühlte die
Steine unter ſich rollen. Unwillkürlich ſuchte er eine Stütze
mit den Füßen. Umſonſt! Er hatte den Grund verloren,
ſein Körper wurde lang.

Was war denn das an ſeinem Halſe? Ein Band mit
eiſernen Stacheln! — Sie riſſen ihm den Körper in Stücke!
Hing er denn? Er ſah ja noch alles, ganz deutlich: dort,
die beiden Leute, zehn Schritt von ihm. —

So helft mir doch! Schneidet mich ab! Seht Ihr's denn
nicht! —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0440" n="426"/>
Wenn ihm das einer in der Jugend ge&#x017F;agt hätte, daß er<lb/>
&#x017F;o enden werde!</p><lb/>
          <p>Er betete ein Vaterun&#x017F;er, das erleichterte ihn. Dann<lb/>
richtete er &#x017F;ich auf; der Furchtanfall war vorüber.</p><lb/>
          <p>Er wollte &#x017F;terben; tau&#x017F;endmal hatte er &#x017F;ich's überlegt. Es<lb/>
war nicht das er&#x017F;te Mal, daß er mit dem Stricke in der Ta&#x017F;che<lb/>
hier draußen &#x017F;tand. Bisher hatte ihn immer noch der Ge¬<lb/>
danke an &#x017F;eine Kinder abgehalten, das Letzte zu thun. Sie<lb/>
&#x017F;ollten ihn nicht &#x017F;o hängen &#x017F;ehen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Nun waren &#x017F;ie fort. Was die anderen &#x017F;agen würden, die<lb/>
Fremden, war ihm gleichgültig.</p><lb/>
          <p>Heute wollte er's mal zu Ende führen. Er war ja gut<lb/>
zum Sterben vorbereitet: war zur Beichte gewe&#x017F;en, hatte das<lb/>
heilige Abendmahl geno&#x017F;&#x017F;en; Gott mußte ihm &#x017F;eine Sünde<lb/>
vergeben. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Jetzt &#x017F;tand er auf dem Steinhaufen, der Strick &#x017F;aß fe&#x017F;t<lb/>
am A&#x017F;te, er brauchte nur den Kopf durch die Schlinge zu<lb/>
&#x017F;tecken. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Noch einmal hielt er inne. Sein Blick flog über die<lb/>
Felder und Wie&#x017F;en zu &#x017F;einen Füßen. Das war &#x017F;ein Land, er<lb/>
&#x017F;tarb auf &#x017F;einem Grund und Boden. Sein Auge &#x017F;uchte das<lb/>
Vaterhaus; da unten lag es, winkte zu ihm herüber aus blühen¬<lb/>
den Baumkronen.</p><lb/>
          <p>Fa&#x017F;t unbewußt &#x017F;treifte er die Schlinge über den Kopf.<lb/>
Wenn er &#x017F;ich nun mit den Füßen ab&#x017F;tieß, war's ge&#x017F;chehen.</p><lb/>
          <p>Noch ein Vaterun&#x017F;er!</p><lb/>
          <p>Der Strick würgte ihn &#x017F;chon am Hal&#x017F;e. Er fühlte die<lb/>
Steine unter &#x017F;ich rollen. Unwillkürlich &#x017F;uchte er eine Stütze<lb/>
mit den Füßen. Um&#x017F;on&#x017F;t! Er hatte den Grund verloren,<lb/>
&#x017F;ein Körper wurde lang.</p><lb/>
          <p>Was war denn das an &#x017F;einem Hal&#x017F;e? Ein Band mit<lb/>
ei&#x017F;ernen Stacheln! &#x2014; Sie ri&#x017F;&#x017F;en ihm den Körper in Stücke!<lb/>
Hing er denn? Er &#x017F;ah ja noch alles, ganz deutlich: dort,<lb/>
die beiden Leute, zehn Schritt von ihm. &#x2014;</p><lb/>
          <p>So helft mir doch! Schneidet mich ab! Seht Ihr's denn<lb/>
nicht! &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[426/0440] Wenn ihm das einer in der Jugend geſagt hätte, daß er ſo enden werde! Er betete ein Vaterunſer, das erleichterte ihn. Dann richtete er ſich auf; der Furchtanfall war vorüber. Er wollte ſterben; tauſendmal hatte er ſich's überlegt. Es war nicht das erſte Mal, daß er mit dem Stricke in der Taſche hier draußen ſtand. Bisher hatte ihn immer noch der Ge¬ danke an ſeine Kinder abgehalten, das Letzte zu thun. Sie ſollten ihn nicht ſo hängen ſehen. — Nun waren ſie fort. Was die anderen ſagen würden, die Fremden, war ihm gleichgültig. Heute wollte er's mal zu Ende führen. Er war ja gut zum Sterben vorbereitet: war zur Beichte geweſen, hatte das heilige Abendmahl genoſſen; Gott mußte ihm ſeine Sünde vergeben. — Jetzt ſtand er auf dem Steinhaufen, der Strick ſaß feſt am Aſte, er brauchte nur den Kopf durch die Schlinge zu ſtecken. — Noch einmal hielt er inne. Sein Blick flog über die Felder und Wieſen zu ſeinen Füßen. Das war ſein Land, er ſtarb auf ſeinem Grund und Boden. Sein Auge ſuchte das Vaterhaus; da unten lag es, winkte zu ihm herüber aus blühen¬ den Baumkronen. Faſt unbewußt ſtreifte er die Schlinge über den Kopf. Wenn er ſich nun mit den Füßen abſtieß, war's geſchehen. Noch ein Vaterunſer! Der Strick würgte ihn ſchon am Halſe. Er fühlte die Steine unter ſich rollen. Unwillkürlich ſuchte er eine Stütze mit den Füßen. Umſonſt! Er hatte den Grund verloren, ſein Körper wurde lang. Was war denn das an ſeinem Halſe? Ein Band mit eiſernen Stacheln! — Sie riſſen ihm den Körper in Stücke! Hing er denn? Er ſah ja noch alles, ganz deutlich: dort, die beiden Leute, zehn Schritt von ihm. — So helft mir doch! Schneidet mich ab! Seht Ihr's denn nicht! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/440
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/440>, abgerufen am 16.05.2024.