Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

herrscht darin ein fortwährendes clair obscaur, so daß
ich die Schriftzüge vor mir nur wie hinter einem
Schleier sehe. Die kleinen Fenster und hohen gegen-
über liegenden Häuser lassen es nicht anders zu, so
daß ich um Verzeihung bitten muß, wenn ich noch
unleserlicher als gewöhnlich schreibe. Du wirst übri-
gens bemerkt haben, daß das, zu choquant theure,
Porto in England auch mich gelehrt hat, sorgfältiger,
und besonders enger, zu schreiben, so daß jetzt ein
Schriftlavater aus meinen Briefen an Dich einen
großen Theil meines Charakters studiren könnte, blos
durch's Ansehen, meine ich, ohne sie zu lesen. Es
geht darin, wie im Leben selbst her, wo ebenfalls
oft mit guten Vorsätzen der Verengung, i. e. Be-
schränkung aller Art angefangen und eine Weile fort-
gefahren wird, bald aber die Zeilen wieder unwill-
kührlich weiter werden, und ehe man es sich versieht,
die unmerklich wirkende Macht der Gewohnheit zur
alten Latitude wieder zurückführte.

Ich habe Dir schon gesagt, daß die Carten der
Restaurateurs sich in Bücher verwandelt haben, von
der Dicke eines Fingers, und reich in Maroquin und
Gold eingebunden. Einem englischen Offizier, den ich
heute im Caffee anglais fand, imponirte dies so sehr,
daß er mehrmals vom erstaunten garcon, la charte,
statt la carte verlangte, vielleicht in der Meinung,
daß im liberalen Frankreich eine solche, auch für die
Caffees, eingeführt worden sey. Obgleich die Fran-
zosen selten auf die Sprachquiproquos der Fremden

herrſcht darin ein fortwährendes clair obscûr, ſo daß
ich die Schriftzüge vor mir nur wie hinter einem
Schleier ſehe. Die kleinen Fenſter und hohen gegen-
über liegenden Häuſer laſſen es nicht anders zu, ſo
daß ich um Verzeihung bitten muß, wenn ich noch
unleſerlicher als gewöhnlich ſchreibe. Du wirſt übri-
gens bemerkt haben, daß das, zu choquant theure,
Porto in England auch mich gelehrt hat, ſorgfältiger,
und beſonders enger, zu ſchreiben, ſo daß jetzt ein
Schriftlavater aus meinen Briefen an Dich einen
großen Theil meines Charakters ſtudiren könnte, blos
durch’s Anſehen, meine ich, ohne ſie zu leſen. Es
geht darin, wie im Leben ſelbſt her, wo ebenfalls
oft mit guten Vorſätzen der Verengung, i. e. Be-
ſchränkung aller Art angefangen und eine Weile fort-
gefahren wird, bald aber die Zeilen wieder unwill-
kührlich weiter werden, und ehe man es ſich verſieht,
die unmerklich wirkende Macht der Gewohnheit zur
alten Latitude wieder zurückführte.

Ich habe Dir ſchon geſagt, daß die Carten der
Reſtaurateurs ſich in Bücher verwandelt haben, von
der Dicke eines Fingers, und reich in Maroquin und
Gold eingebunden. Einem engliſchen Offizier, den ich
heute im Caffée anglais fand, imponirte dies ſo ſehr,
daß er mehrmals vom erſtaunten garçon, la charte,
ſtatt la carte verlangte, vielleicht in der Meinung,
daß im liberalen Frankreich eine ſolche, auch für die
Caffees, eingeführt worden ſey. Obgleich die Fran-
zoſen ſelten auf die Sprachquiproquos der Fremden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0355" n="333"/>
herr&#x017F;cht darin ein fortwährendes <hi rendition="#aq">clair obscûr,</hi> &#x017F;o daß<lb/>
ich die Schriftzüge vor mir nur wie hinter einem<lb/>
Schleier &#x017F;ehe. Die kleinen Fen&#x017F;ter und hohen gegen-<lb/>
über liegenden <choice><sic>Ha&#x0307;u&#x017F;er</sic><corr>Häu&#x017F;er</corr></choice> la&#x017F;&#x017F;en es nicht anders zu, &#x017F;o<lb/>
daß ich um Verzeihung bitten muß, wenn ich noch<lb/>
unle&#x017F;erlicher als gewöhnlich &#x017F;chreibe. Du wir&#x017F;t übri-<lb/>
gens bemerkt haben, daß das, zu choquant theure,<lb/>
Porto in England auch mich gelehrt hat, &#x017F;orgfältiger,<lb/>
und be&#x017F;onders enger, zu &#x017F;chreiben, &#x017F;o daß jetzt ein<lb/>
Schriftlavater aus meinen Briefen an Dich einen<lb/>
großen Theil meines Charakters &#x017F;tudiren könnte, blos<lb/>
durch&#x2019;s An&#x017F;ehen, meine ich, ohne &#x017F;ie zu le&#x017F;en. Es<lb/>
geht darin, wie im Leben &#x017F;elb&#x017F;t her, wo ebenfalls<lb/>
oft mit guten Vor&#x017F;ätzen der Verengung, <hi rendition="#aq">i. e.</hi> Be-<lb/>
&#x017F;chränkung aller Art angefangen und eine Weile fort-<lb/>
gefahren wird, bald aber die Zeilen wieder unwill-<lb/>
kührlich weiter werden, und ehe man es &#x017F;ich ver&#x017F;ieht,<lb/>
die unmerklich wirkende Macht der Gewohnheit zur<lb/>
alten Latitude wieder zurückführte.</p><lb/>
          <p>Ich habe Dir &#x017F;chon ge&#x017F;agt, daß die Carten der<lb/>
Re&#x017F;taurateurs &#x017F;ich in Bücher verwandelt haben, von<lb/>
der Dicke eines Fingers, und reich in Maroquin und<lb/>
Gold eingebunden. Einem engli&#x017F;chen Offizier, den ich<lb/>
heute im <hi rendition="#aq">Caffée anglais</hi> fand, imponirte dies &#x017F;o &#x017F;ehr,<lb/>
daß er mehrmals vom er&#x017F;taunten <hi rendition="#aq">garçon, la charte,</hi><lb/>
&#x017F;tatt <hi rendition="#aq">la carte</hi> verlangte, vielleicht in der Meinung,<lb/>
daß im liberalen Frankreich eine &#x017F;olche, auch für die<lb/>
Caffees, eingeführt worden &#x017F;ey. Obgleich die Fran-<lb/>
zo&#x017F;en &#x017F;elten auf die Sprachquiproquos der Fremden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[333/0355] herrſcht darin ein fortwährendes clair obscûr, ſo daß ich die Schriftzüge vor mir nur wie hinter einem Schleier ſehe. Die kleinen Fenſter und hohen gegen- über liegenden Häuſer laſſen es nicht anders zu, ſo daß ich um Verzeihung bitten muß, wenn ich noch unleſerlicher als gewöhnlich ſchreibe. Du wirſt übri- gens bemerkt haben, daß das, zu choquant theure, Porto in England auch mich gelehrt hat, ſorgfältiger, und beſonders enger, zu ſchreiben, ſo daß jetzt ein Schriftlavater aus meinen Briefen an Dich einen großen Theil meines Charakters ſtudiren könnte, blos durch’s Anſehen, meine ich, ohne ſie zu leſen. Es geht darin, wie im Leben ſelbſt her, wo ebenfalls oft mit guten Vorſätzen der Verengung, i. e. Be- ſchränkung aller Art angefangen und eine Weile fort- gefahren wird, bald aber die Zeilen wieder unwill- kührlich weiter werden, und ehe man es ſich verſieht, die unmerklich wirkende Macht der Gewohnheit zur alten Latitude wieder zurückführte. Ich habe Dir ſchon geſagt, daß die Carten der Reſtaurateurs ſich in Bücher verwandelt haben, von der Dicke eines Fingers, und reich in Maroquin und Gold eingebunden. Einem engliſchen Offizier, den ich heute im Caffée anglais fand, imponirte dies ſo ſehr, daß er mehrmals vom erſtaunten garçon, la charte, ſtatt la carte verlangte, vielleicht in der Meinung, daß im liberalen Frankreich eine ſolche, auch für die Caffees, eingeführt worden ſey. Obgleich die Fran- zoſen ſelten auf die Sprachquiproquos der Fremden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/355
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/355>, abgerufen am 29.04.2024.