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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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achten, so schien dieses Allarmwort doch nicht ohne
ein Lächeln von Mehrern vernommen zu werden, ich
aber dachte: wie gern würden Manche es umdrehen,
und den Franzosen statt der Charte wieder Carten,
-- zum Spielen geben.

Sehr überrascht wurde ich Abends in der franzö-
sischen Oper, die ich noch als eine Art Tollhaus ver-
lassen hatte, wo einige Rasende in Verzuckungen
schrieen, als wenn sie am Spieße steckten -- und
jetzt dort süßen Gesang, die beste italienische Methode
und schöne Stimmen mit sehr gutem Spiele verei-
nigt fand. Rossini, der, wie ein zweiter Orpheus,
die Oper also gezähmt, ist hierdurch der wahre Wohl-
thäter musikalischer Ohren geworden, und Einheimische
wie Fremde danken ihm gerührt ihr Heil.

Ich ziehe dieses Schauspiel jetzt, obgleich es weni-
ger Mode ist, unbedenklich der italienischen Oper vor,
da es fast Alles vereinigt, was man sich nur vom
Theater wünschen kann -- nämlich außer dem ge-
nannten guten Gesang und Spiel, prächtige und
frische Decorationen und das beste Ballet in der
Welt. Wären die Opernterte auch Meisterstücke, so
wüßte ich nicht, was noch verlangt werden möchte,
aber schon wie sie sind, kann man, z. B. mit der
Muette de Portici, die ich heute sah, recht sehr zu-
frieden seyn, Mademoiselle Noblet ist eine noble
Stumme, Grazie und Leben in ihrem Spiel, ohne
alle Uebertreibung, und Nourrit der Aeltere ein vor-
trefflicher Masaniello, obgleich er allein noch zuweilen

achten, ſo ſchien dieſes Allarmwort doch nicht ohne
ein Lächeln von Mehrern vernommen zu werden, ich
aber dachte: wie gern würden Manche es umdrehen,
und den Franzoſen ſtatt der Charte wieder Carten,
— zum Spielen geben.

Sehr überraſcht wurde ich Abends in der franzö-
ſiſchen Oper, die ich noch als eine Art Tollhaus ver-
laſſen hatte, wo einige Raſende in Verzuckungen
ſchrieen, als wenn ſie am Spieße ſteckten — und
jetzt dort ſüßen Geſang, die beſte italieniſche Methode
und ſchöne Stimmen mit ſehr gutem Spiele verei-
nigt fand. Roſſini, der, wie ein zweiter Orpheus,
die Oper alſo gezähmt, iſt hierdurch der wahre Wohl-
thäter muſikaliſcher Ohren geworden, und Einheimiſche
wie Fremde danken ihm gerührt ihr Heil.

Ich ziehe dieſes Schauſpiel jetzt, obgleich es weni-
ger Mode iſt, unbedenklich der italieniſchen Oper vor,
da es faſt Alles vereinigt, was man ſich nur vom
Theater wünſchen kann — nämlich außer dem ge-
nannten guten Geſang und Spiel, prächtige und
friſche Decorationen und das beſte Ballet in der
Welt. Wären die Opernterte auch Meiſterſtücke, ſo
wüßte ich nicht, was noch verlangt werden möchte,
aber ſchon wie ſie ſind, kann man, z. B. mit der
Muette de Portici, die ich heute ſah, recht ſehr zu-
frieden ſeyn, Mademoiſelle Noblet iſt eine noble
Stumme, Grazie und Leben in ihrem Spiel, ohne
alle Uebertreibung, und Nourrit der Aeltere ein vor-
trefflicher Maſaniello, obgleich er allein noch zuweilen

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[334/0356] achten, ſo ſchien dieſes Allarmwort doch nicht ohne ein Lächeln von Mehrern vernommen zu werden, ich aber dachte: wie gern würden Manche es umdrehen, und den Franzoſen ſtatt der Charte wieder Carten, — zum Spielen geben. Sehr überraſcht wurde ich Abends in der franzö- ſiſchen Oper, die ich noch als eine Art Tollhaus ver- laſſen hatte, wo einige Raſende in Verzuckungen ſchrieen, als wenn ſie am Spieße ſteckten — und jetzt dort ſüßen Geſang, die beſte italieniſche Methode und ſchöne Stimmen mit ſehr gutem Spiele verei- nigt fand. Roſſini, der, wie ein zweiter Orpheus, die Oper alſo gezähmt, iſt hierdurch der wahre Wohl- thäter muſikaliſcher Ohren geworden, und Einheimiſche wie Fremde danken ihm gerührt ihr Heil. Ich ziehe dieſes Schauſpiel jetzt, obgleich es weni- ger Mode iſt, unbedenklich der italieniſchen Oper vor, da es faſt Alles vereinigt, was man ſich nur vom Theater wünſchen kann — nämlich außer dem ge- nannten guten Geſang und Spiel, prächtige und friſche Decorationen und das beſte Ballet in der Welt. Wären die Opernterte auch Meiſterſtücke, ſo wüßte ich nicht, was noch verlangt werden möchte, aber ſchon wie ſie ſind, kann man, z. B. mit der Muette de Portici, die ich heute ſah, recht ſehr zu- frieden ſeyn, Mademoiſelle Noblet iſt eine noble Stumme, Grazie und Leben in ihrem Spiel, ohne alle Uebertreibung, und Nourrit der Aeltere ein vor- trefflicher Maſaniello, obgleich er allein noch zuweilen

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/356>, abgerufen am 29.04.2024.