Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

arabischen Mährchen vergleichen, der sich in jeden
beliebigen Körper versetzen, und dessen Gefühle und
Handlungen nachahmen konnte."

Hierbei fällt mir ein daß ich nur einen Charak-
ter in dieses unsterblichen Dichters Werken immer
etwas verzeichnet fand, und keiner erregt auch allge-
mein weniger Interesse. Dies ist der König im Ham-
let. Um nur eines Zuges zu erwähnen, so scheint
es mir psychologisch ganz falsch, wenn der Autor
den König niederknieen und dann ausrufen läßt:
"Ich kann nicht beten." Der König wird uns ja
nirgends als ein Irreligiöser, ein grübelnder Skep-
tiker dargestellt, sondern blos als ein grober sinnli-
cher Verbrecher, und ein solcher kann, sey er auch
der ärgste, wie wir täglich erleben, nicht nur sehr
gut und eifrig beten, sondern selbst beten, daß ihm
sein Verbrechen doch gelingen möge, wie jene Frau,
die man nach dem Fang einer ausgezogenen Diebes-
bande allein in ihrer Höhle auf den Knieen fand, wo
sie zu Gott inbrünstig flehte, daß die Expedition,
bei der sie die Räuber eben begriffen glaubte, doch
glücklich ablaufen, und sie recht viel erbeuten möchten.

Ja, öffentlich angeordnete Gebete haben oft keinen
viel bessern Zweck, und was bietet im Felde der Re-
ligion die Geschichte für Beispiele dieser Art nicht dar!
Nein, der verbrecherische König kann beten, aber
wer es in dieser Tragödie nicht kann -- das ist
Hamlet. Denn nur der Ungläubige, der Alles er-

arabiſchen Mährchen vergleichen, der ſich in jeden
beliebigen Körper verſetzen, und deſſen Gefühle und
Handlungen nachahmen konnte.“

Hierbei fällt mir ein daß ich nur einen Charak-
ter in dieſes unſterblichen Dichters Werken immer
etwas verzeichnet fand, und keiner erregt auch allge-
mein weniger Intereſſe. Dies iſt der König im Ham-
let. Um nur eines Zuges zu erwähnen, ſo ſcheint
es mir pſychologiſch ganz falſch, wenn der Autor
den König niederknieen und dann ausrufen läßt:
„Ich kann nicht beten.“ Der König wird uns ja
nirgends als ein Irreligiöſer, ein grübelnder Skep-
tiker dargeſtellt, ſondern blos als ein grober ſinnli-
cher Verbrecher, und ein ſolcher kann, ſey er auch
der ärgſte, wie wir täglich erleben, nicht nur ſehr
gut und eifrig beten, ſondern ſelbſt beten, daß ihm
ſein Verbrechen doch gelingen möge, wie jene Frau,
die man nach dem Fang einer ausgezogenen Diebes-
bande allein in ihrer Höhle auf den Knieen fand, wo
ſie zu Gott inbrünſtig flehte, daß die Expedition,
bei der ſie die Räuber eben begriffen glaubte, doch
glücklich ablaufen, und ſie recht viel erbeuten möchten.

Ja, öffentlich angeordnete Gebete haben oft keinen
viel beſſern Zweck, und was bietet im Felde der Re-
ligion die Geſchichte für Beiſpiele dieſer Art nicht dar!
Nein, der verbrecheriſche König kann beten, aber
wer es in dieſer Tragödie nicht kann — das iſt
Hamlet. Denn nur der Ungläubige, der Alles er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0209" n="165"/>
arabi&#x017F;chen Mährchen vergleichen, der &#x017F;ich in jeden<lb/>
beliebigen Körper ver&#x017F;etzen, und de&#x017F;&#x017F;en Gefühle und<lb/>
Handlungen nachahmen konnte.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Hierbei fällt mir ein daß ich nur <hi rendition="#g">einen</hi> Charak-<lb/>
ter in die&#x017F;es un&#x017F;terblichen Dichters Werken immer<lb/>
etwas verzeichnet fand, und keiner erregt auch allge-<lb/>
mein weniger Intere&#x017F;&#x017F;e. Dies i&#x017F;t der König im Ham-<lb/>
let. Um nur eines Zuges zu erwähnen, &#x017F;o &#x017F;cheint<lb/>
es mir p&#x017F;ychologi&#x017F;ch ganz fal&#x017F;ch, wenn der Autor<lb/>
den König niederknieen und dann ausrufen läßt:<lb/>
&#x201E;Ich kann nicht beten.&#x201C; Der König wird uns ja<lb/>
nirgends als ein Irreligiö&#x017F;er, ein grübelnder Skep-<lb/>
tiker darge&#x017F;tellt, &#x017F;ondern blos als ein grober &#x017F;innli-<lb/>
cher <hi rendition="#g">Verbrecher</hi>, und ein &#x017F;olcher kann, &#x017F;ey er auch<lb/>
der ärg&#x017F;te, wie wir täglich erleben, nicht nur &#x017F;ehr<lb/>
gut und eifrig beten, &#x017F;ondern &#x017F;elb&#x017F;t beten, daß ihm<lb/>
&#x017F;ein Verbrechen doch gelingen möge, wie jene Frau,<lb/>
die man nach dem Fang einer ausgezogenen Diebes-<lb/>
bande allein in ihrer Höhle auf den Knieen fand, wo<lb/>
&#x017F;ie zu Gott inbrün&#x017F;tig flehte, daß die Expedition,<lb/>
bei der &#x017F;ie die Räuber eben begriffen glaubte, doch<lb/>
glücklich ablaufen, und &#x017F;ie recht viel erbeuten möchten.</p><lb/>
          <p>Ja, öffentlich angeordnete Gebete haben oft keinen<lb/>
viel be&#x017F;&#x017F;ern Zweck, und was bietet im Felde der Re-<lb/>
ligion die Ge&#x017F;chichte für Bei&#x017F;piele die&#x017F;er Art nicht dar!<lb/>
Nein, der verbrecheri&#x017F;che König kann beten, aber<lb/>
wer es in die&#x017F;er Tragödie <hi rendition="#g">nicht</hi> kann &#x2014; das i&#x017F;t<lb/>
Hamlet. Denn nur der Ungläubige, der Alles er-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0209] arabiſchen Mährchen vergleichen, der ſich in jeden beliebigen Körper verſetzen, und deſſen Gefühle und Handlungen nachahmen konnte.“ Hierbei fällt mir ein daß ich nur einen Charak- ter in dieſes unſterblichen Dichters Werken immer etwas verzeichnet fand, und keiner erregt auch allge- mein weniger Intereſſe. Dies iſt der König im Ham- let. Um nur eines Zuges zu erwähnen, ſo ſcheint es mir pſychologiſch ganz falſch, wenn der Autor den König niederknieen und dann ausrufen läßt: „Ich kann nicht beten.“ Der König wird uns ja nirgends als ein Irreligiöſer, ein grübelnder Skep- tiker dargeſtellt, ſondern blos als ein grober ſinnli- cher Verbrecher, und ein ſolcher kann, ſey er auch der ärgſte, wie wir täglich erleben, nicht nur ſehr gut und eifrig beten, ſondern ſelbſt beten, daß ihm ſein Verbrechen doch gelingen möge, wie jene Frau, die man nach dem Fang einer ausgezogenen Diebes- bande allein in ihrer Höhle auf den Knieen fand, wo ſie zu Gott inbrünſtig flehte, daß die Expedition, bei der ſie die Räuber eben begriffen glaubte, doch glücklich ablaufen, und ſie recht viel erbeuten möchten. Ja, öffentlich angeordnete Gebete haben oft keinen viel beſſern Zweck, und was bietet im Felde der Re- ligion die Geſchichte für Beiſpiele dieſer Art nicht dar! Nein, der verbrecheriſche König kann beten, aber wer es in dieſer Tragödie nicht kann — das iſt Hamlet. Denn nur der Ungläubige, der Alles er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/209
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/209>, abgerufen am 28.04.2024.