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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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"the fatherland" Kat exokhen. Das wird zwar mit
einem gewissen "sneer" gesagt, aber es ist eine Ehre für
unsere Nation und wir können stolz darauf sein.

O ihr Dichter und Schriftsteller Deutschlands, sagt
und schreibt nichts, Euer Volk zu entmuthigen, wie es
leider von Euch, die Ihr die stolzesten Namen in Poesie
und Wissenschaften führt, so oft geschieht! Scheltet,
spottet, geißelt, aber hütet Euch, jene schwächliche Resig-
nation, von welcher der nächste Schritt zur Gleichgül-
tigkeit führt, zu befördern, oder gar sie hervorrufen zu
wollen. --

Als die Juden an den Wassern zu Babel saßen und
ihre Harfen an die Weiden hingen, weinten sie, aber sie
riefen:
"Vergesse ich Dein, Jerusalem, so werde meiner
"Rechten vergessen!"

Die Worte waren kräftig genug, selbst die zucken-
den Glieder eines Volkes durch die Jahrtausende zu er-
halten. --

Ihr habt die Gewohnheit, ihr Prediger und Vor-
münder des Volks, den Wegziehenden einen Bibelvers
in das Gesangbuch des Heimathsdorfs zu schreiben;
schreibt:
"Vergesse ich Dein, Deutschland großes Vater-
"land: so werde meiner Rechten vergessen!" --

„the fatherland“ Κατ̕ ἐξοχήν. Das wird zwar mit
einem gewiſſen „sneer“ geſagt, aber es iſt eine Ehre für
unſere Nation und wir können ſtolz darauf ſein.

O ihr Dichter und Schriftſteller Deutſchlands, ſagt
und ſchreibt nichts, Euer Volk zu entmuthigen, wie es
leider von Euch, die Ihr die ſtolzeſten Namen in Poeſie
und Wiſſenſchaften führt, ſo oft geſchieht! Scheltet,
ſpottet, geißelt, aber hütet Euch, jene ſchwächliche Reſig-
nation, von welcher der nächſte Schritt zur Gleichgül-
tigkeit führt, zu befördern, oder gar ſie hervorrufen zu
wollen. —

Als die Juden an den Waſſern zu Babel ſaßen und
ihre Harfen an die Weiden hingen, weinten ſie, aber ſie
riefen:
„Vergeſſe ich Dein, Jeruſalem, ſo werde meiner
„Rechten vergeſſen!“

Die Worte waren kräftig genug, ſelbſt die zucken-
den Glieder eines Volkes durch die Jahrtauſende zu er-
halten. —

Ihr habt die Gewohnheit, ihr Prediger und Vor-
münder des Volks, den Wegziehenden einen Bibelvers
in das Geſangbuch des Heimathsdorfs zu ſchreiben;
ſchreibt:
„Vergeſſe ich Dein, Deutſchland großes Vater-
„land: ſo werde meiner Rechten vergeſſen!“ —

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[254/0264] „the fatherland“ Κατ̕ ἐξοχήν. Das wird zwar mit einem gewiſſen „sneer“ geſagt, aber es iſt eine Ehre für unſere Nation und wir können ſtolz darauf ſein. O ihr Dichter und Schriftſteller Deutſchlands, ſagt und ſchreibt nichts, Euer Volk zu entmuthigen, wie es leider von Euch, die Ihr die ſtolzeſten Namen in Poeſie und Wiſſenſchaften führt, ſo oft geſchieht! Scheltet, ſpottet, geißelt, aber hütet Euch, jene ſchwächliche Reſig- nation, von welcher der nächſte Schritt zur Gleichgül- tigkeit führt, zu befördern, oder gar ſie hervorrufen zu wollen. — Als die Juden an den Waſſern zu Babel ſaßen und ihre Harfen an die Weiden hingen, weinten ſie, aber ſie riefen: „Vergeſſe ich Dein, Jeruſalem, ſo werde meiner „Rechten vergeſſen!“ Die Worte waren kräftig genug, ſelbſt die zucken- den Glieder eines Volkes durch die Jahrtauſende zu er- halten. — Ihr habt die Gewohnheit, ihr Prediger und Vor- münder des Volks, den Wegziehenden einen Bibelvers in das Geſangbuch des Heimathsdorfs zu ſchreiben; ſchreibt: „Vergeſſe ich Dein, Deutſchland großes Vater- „land: ſo werde meiner Rechten vergeſſen!“ —

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/264>, abgerufen am 27.04.2024.