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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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ein selten Posthorn zu Ohr bekommen, ohne dabei
an meinen seligen Vater, meine selige Mutter und
den Landbriefträger Störzer zu denken. Uebrigens
bekam Störzer auch jedesmal eine Cigarre mit auf
den Weg, wenn er dem Vater und mir draußen vor
der Stadt begegnete. Da war's wohl kein Wunder,
wenn er jedesmal, wo er mich allein traf, zu fragen
pflegte:

"Nu, Eduard, wie ist es? willst Du mit? darfst
Du mit?" --

Ich hätte ihm doch, wenn nicht zuerst, so doch
unter den Ersten meinen Besuch machen sollen. Jetzt
war es wieder einmal zu spät für etwas. Auch die
kaiserliche Reichspostverwaltung hatte ihr Recht an
ihm verloren, holte ihn sich nicht mehr zu neuem
Marsch durch gutes und böses Wetter vor Tage aus
den Federn, oder besser, von seinem Strohsack; und
ich -- ich saß bei meinem Freunde Sichert, dem
Wirth zu den drei Königen, und gedachte Seiner, wie
man Eines gedenkt, zu dem man in seiner Kindheit
aufgesehen hat und mit dem man Wege gegangen
ist, aller Phantasien, Wunder und Abenteuer der
Welt voll.

Man hat so Stunden, wo Einem alles übrige
Leben und alle sonstige Lebendigkeit zu einem fernen
Gesumm wird, und man nur eine einzelne Stimme
ganz in der Nähe und ganz laut und genau ver-
nimmt.

"Damit ist es nun nichts, Eduard!" hörte ich
Störzer ganz deutlich seufzen. Er hatte mir aber,

ein ſelten Poſthorn zu Ohr bekommen, ohne dabei
an meinen ſeligen Vater, meine ſelige Mutter und
den Landbriefträger Störzer zu denken. Uebrigens
bekam Störzer auch jedesmal eine Cigarre mit auf
den Weg, wenn er dem Vater und mir draußen vor
der Stadt begegnete. Da war's wohl kein Wunder,
wenn er jedesmal, wo er mich allein traf, zu fragen
pflegte:

„Nu, Eduard, wie iſt es? willſt Du mit? darfſt
Du mit?“ —

Ich hätte ihm doch, wenn nicht zuerſt, ſo doch
unter den Erſten meinen Beſuch machen ſollen. Jetzt
war es wieder einmal zu ſpät für etwas. Auch die
kaiſerliche Reichspoſtverwaltung hatte ihr Recht an
ihm verloren, holte ihn ſich nicht mehr zu neuem
Marſch durch gutes und böſes Wetter vor Tage aus
den Federn, oder beſſer, von ſeinem Strohſack; und
ich — ich ſaß bei meinem Freunde Sichert, dem
Wirth zu den drei Königen, und gedachte Seiner, wie
man Eines gedenkt, zu dem man in ſeiner Kindheit
aufgeſehen hat und mit dem man Wege gegangen
iſt, aller Phantaſien, Wunder und Abenteuer der
Welt voll.

Man hat ſo Stunden, wo Einem alles übrige
Leben und alle ſonſtige Lebendigkeit zu einem fernen
Geſumm wird, und man nur eine einzelne Stimme
ganz in der Nähe und ganz laut und genau ver-
nimmt.

„Damit iſt es nun nichts, Eduard!“ hörte ich
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[14/0024] ein ſelten Poſthorn zu Ohr bekommen, ohne dabei an meinen ſeligen Vater, meine ſelige Mutter und den Landbriefträger Störzer zu denken. Uebrigens bekam Störzer auch jedesmal eine Cigarre mit auf den Weg, wenn er dem Vater und mir draußen vor der Stadt begegnete. Da war's wohl kein Wunder, wenn er jedesmal, wo er mich allein traf, zu fragen pflegte: „Nu, Eduard, wie iſt es? willſt Du mit? darfſt Du mit?“ — Ich hätte ihm doch, wenn nicht zuerſt, ſo doch unter den Erſten meinen Beſuch machen ſollen. Jetzt war es wieder einmal zu ſpät für etwas. Auch die kaiſerliche Reichspoſtverwaltung hatte ihr Recht an ihm verloren, holte ihn ſich nicht mehr zu neuem Marſch durch gutes und böſes Wetter vor Tage aus den Federn, oder beſſer, von ſeinem Strohſack; und ich — ich ſaß bei meinem Freunde Sichert, dem Wirth zu den drei Königen, und gedachte Seiner, wie man Eines gedenkt, zu dem man in ſeiner Kindheit aufgeſehen hat und mit dem man Wege gegangen iſt, aller Phantaſien, Wunder und Abenteuer der Welt voll. Man hat ſo Stunden, wo Einem alles übrige Leben und alle ſonſtige Lebendigkeit zu einem fernen Geſumm wird, und man nur eine einzelne Stimme ganz in der Nähe und ganz laut und genau ver- nimmt. „Damit iſt es nun nichts, Eduard!“ hörte ich Störzer ganz deutlich ſeufzen. Er hatte mir aber,

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/24>, abgerufen am 26.04.2024.