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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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ich habe einfach das Schicksal in mich hineinzufressen.
Guten Tag, Fräulein Valentine!"

"Guten Tag, Herr Schaumann."

Sie sah, wie sie mit untergeschlagenen Armen
am Thorpfeiler lehnte, nicht danach aus, als ob es
in Wahrheit ihr Ernst damit sei, Jemandem in der
Welt einen guten Tag zu bieten. Man blickte un-
willkürlich danach um, ob nicht eine geladene Büchs-
flinte neben ihr am Eingang der Schanze lehne, oder
ob sie nicht ein scharfes, spitzes Messer in der rechten
Faust unter der linken Achsel verborgen und zum
schnellen Gebrauch bereit halte. Auch so was wie
von einer wilden Katze hatte sie an sich, die im Noth-
fall keiner künstlichen Waffe bedurfte, sondern nur
Jedem mit den echtgewachsenen Krallen ins Gesicht
zu fahren brauchte und sich mit den Zähnen festzu-
beißen, um in jedem Kampfe für sich und um ihres
Vaters Haus, Hof und Herd die Oberhand zu be-
halten.

Nicht groß und nicht klein, nicht mager und
nicht fett, nicht hübsch und nicht häßlich, nicht städtisch
und nicht dörfisch, nicht Kind und nicht Jungfrau
stand sie, Valentine Quakatz, des Mordbauern Andreas
Quakatzen einzige Tochter und bewachte ihres blutig
berüchtigten Vaters Anwesen, die rothe Schanze, in
der friedlichen, sonnebeglänzten, laubgrünen und ähren-
blonden Landschaft.

Ich rufe nicht mehr: "Da sind eure Postsachen,
eure Schreibsachen, eure Zeitung, Du rothe Giftkatze,"
Störzers Amtsgeschäfte am Eingangsthor der rothen

ich habe einfach das Schickſal in mich hineinzufreſſen.
Guten Tag, Fräulein Valentine!“

„Guten Tag, Herr Schaumann.“

Sie ſah, wie ſie mit untergeſchlagenen Armen
am Thorpfeiler lehnte, nicht danach aus, als ob es
in Wahrheit ihr Ernſt damit ſei, Jemandem in der
Welt einen guten Tag zu bieten. Man blickte un-
willkürlich danach um, ob nicht eine geladene Büchs-
flinte neben ihr am Eingang der Schanze lehne, oder
ob ſie nicht ein ſcharfes, ſpitzes Meſſer in der rechten
Fauſt unter der linken Achſel verborgen und zum
ſchnellen Gebrauch bereit halte. Auch ſo was wie
von einer wilden Katze hatte ſie an ſich, die im Noth-
fall keiner künſtlichen Waffe bedurfte, ſondern nur
Jedem mit den echtgewachſenen Krallen ins Geſicht
zu fahren brauchte und ſich mit den Zähnen feſtzu-
beißen, um in jedem Kampfe für ſich und um ihres
Vaters Haus, Hof und Herd die Oberhand zu be-
halten.

Nicht groß und nicht klein, nicht mager und
nicht fett, nicht hübſch und nicht häßlich, nicht ſtädtiſch
und nicht dörfiſch, nicht Kind und nicht Jungfrau
ſtand ſie, Valentine Quakatz, des Mordbauern Andreas
Quakatzen einzige Tochter und bewachte ihres blutig
berüchtigten Vaters Anweſen, die rothe Schanze, in
der friedlichen, ſonnebeglänzten, laubgrünen und ähren-
blonden Landſchaft.

Ich rufe nicht mehr: „Da ſind eure Poſtſachen,
eure Schreibſachen, eure Zeitung, Du rothe Giftkatze,“
Störzers Amtsgeſchäfte am Eingangsthor der rothen

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[41/0051] ich habe einfach das Schickſal in mich hineinzufreſſen. Guten Tag, Fräulein Valentine!“ „Guten Tag, Herr Schaumann.“ Sie ſah, wie ſie mit untergeſchlagenen Armen am Thorpfeiler lehnte, nicht danach aus, als ob es in Wahrheit ihr Ernſt damit ſei, Jemandem in der Welt einen guten Tag zu bieten. Man blickte un- willkürlich danach um, ob nicht eine geladene Büchs- flinte neben ihr am Eingang der Schanze lehne, oder ob ſie nicht ein ſcharfes, ſpitzes Meſſer in der rechten Fauſt unter der linken Achſel verborgen und zum ſchnellen Gebrauch bereit halte. Auch ſo was wie von einer wilden Katze hatte ſie an ſich, die im Noth- fall keiner künſtlichen Waffe bedurfte, ſondern nur Jedem mit den echtgewachſenen Krallen ins Geſicht zu fahren brauchte und ſich mit den Zähnen feſtzu- beißen, um in jedem Kampfe für ſich und um ihres Vaters Haus, Hof und Herd die Oberhand zu be- halten. Nicht groß und nicht klein, nicht mager und nicht fett, nicht hübſch und nicht häßlich, nicht ſtädtiſch und nicht dörfiſch, nicht Kind und nicht Jungfrau ſtand ſie, Valentine Quakatz, des Mordbauern Andreas Quakatzen einzige Tochter und bewachte ihres blutig berüchtigten Vaters Anweſen, die rothe Schanze, in der friedlichen, ſonnebeglänzten, laubgrünen und ähren- blonden Landſchaft. Ich rufe nicht mehr: „Da ſind eure Poſtſachen, eure Schreibſachen, eure Zeitung, Du rothe Giftkatze,“ Störzers Amtsgeſchäfte am Eingangsthor der rothen

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/51>, abgerufen am 29.04.2024.