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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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ins Gesicht, sondern legt sich ihm um den Hals,
hängt ihm am Halse und jammert:

"Heinrich, Du bist zu schlecht!"

"Na, na!"

"Du bist so schlecht wie die ganze andere Welt."

"Na, so hetze mir doch Deine Köter an den
Hals, verrücktes Frauenzimmer! Was sagst Du dazu,
Eduard? ich so schlecht wie die ganze übrige Welt?"

Ich sage garnichts. Ich stehe nur wie ein
dummer Junge mit offenem Munde und sehe wie
der dicke Freund das Mädchen -- ein Mädchen, wie
als was ganz Selbstverständliches, ebenfalls im Arme
hält, ihm auf den Rücken klopft, ihm über die Haare
streichelt, ihm das Kinn aufhebt und ihm einen Kuß
gibt. Ich sehe wie er mühsam hinten an der Rock-
tasche nach seinem Taschentuch angelt, wie es ihm
gelingt, dasselbe hervorzuholen, und wie er mit dem-
selben dem Mädchen -- einem Mädchen, einem
fremden, erwachsenen Mädchen die Thränen aus den
Augen wischt, und ich sehe Stopfkuchen mit einem
Male mit ganz anderen Augen an, als mit welchen
ich ihn bis zu dieser verblüffenden Stunde gesehen
habe. Blutübergossen wünsche ich mich bis in die
fernsten Fernen weg und möchte zugleich Den mal
sehen, dem ich folgte, wenn er mich beim Ellbogen
nähme und sagte: "Komm Eduard, Du hast doch
hier garnichts zu suchen!" --

Glücklicherweise hat Stopfkuchen aber viel zu
viel mit dem Mädchen zu thun, und widmet mir
nur dann und wann beiläufig eine höfliche Bemerkung.

ins Geſicht, ſondern legt ſich ihm um den Hals,
hängt ihm am Halſe und jammert:

„Heinrich, Du biſt zu ſchlecht!“

„Na, na!“

„Du biſt ſo ſchlecht wie die ganze andere Welt.“

„Na, ſo hetze mir doch Deine Köter an den
Hals, verrücktes Frauenzimmer! Was ſagſt Du dazu,
Eduard? ich ſo ſchlecht wie die ganze übrige Welt?“

Ich ſage garnichts. Ich ſtehe nur wie ein
dummer Junge mit offenem Munde und ſehe wie
der dicke Freund das Mädchen — ein Mädchen, wie
als was ganz Selbſtverſtändliches, ebenfalls im Arme
hält, ihm auf den Rücken klopft, ihm über die Haare
ſtreichelt, ihm das Kinn aufhebt und ihm einen Kuß
gibt. Ich ſehe wie er mühſam hinten an der Rock-
taſche nach ſeinem Taſchentuch angelt, wie es ihm
gelingt, daſſelbe hervorzuholen, und wie er mit dem-
ſelben dem Mädchen — einem Mädchen, einem
fremden, erwachſenen Mädchen die Thränen aus den
Augen wiſcht, und ich ſehe Stopfkuchen mit einem
Male mit ganz anderen Augen an, als mit welchen
ich ihn bis zu dieſer verblüffenden Stunde geſehen
habe. Blutübergoſſen wünſche ich mich bis in die
fernſten Fernen weg und möchte zugleich Den mal
ſehen, dem ich folgte, wenn er mich beim Ellbogen
nähme und ſagte: „Komm Eduard, Du haſt doch
hier garnichts zu ſuchen!“ —

Glücklicherweiſe hat Stopfkuchen aber viel zu
viel mit dem Mädchen zu thun, und widmet mir
nur dann und wann beiläufig eine höfliche Bemerkung.

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[44/0054] ins Geſicht, ſondern legt ſich ihm um den Hals, hängt ihm am Halſe und jammert: „Heinrich, Du biſt zu ſchlecht!“ „Na, na!“ „Du biſt ſo ſchlecht wie die ganze andere Welt.“ „Na, ſo hetze mir doch Deine Köter an den Hals, verrücktes Frauenzimmer! Was ſagſt Du dazu, Eduard? ich ſo ſchlecht wie die ganze übrige Welt?“ Ich ſage garnichts. Ich ſtehe nur wie ein dummer Junge mit offenem Munde und ſehe wie der dicke Freund das Mädchen — ein Mädchen, wie als was ganz Selbſtverſtändliches, ebenfalls im Arme hält, ihm auf den Rücken klopft, ihm über die Haare ſtreichelt, ihm das Kinn aufhebt und ihm einen Kuß gibt. Ich ſehe wie er mühſam hinten an der Rock- taſche nach ſeinem Taſchentuch angelt, wie es ihm gelingt, daſſelbe hervorzuholen, und wie er mit dem- ſelben dem Mädchen — einem Mädchen, einem fremden, erwachſenen Mädchen die Thränen aus den Augen wiſcht, und ich ſehe Stopfkuchen mit einem Male mit ganz anderen Augen an, als mit welchen ich ihn bis zu dieſer verblüffenden Stunde geſehen habe. Blutübergoſſen wünſche ich mich bis in die fernſten Fernen weg und möchte zugleich Den mal ſehen, dem ich folgte, wenn er mich beim Ellbogen nähme und ſagte: „Komm Eduard, Du haſt doch hier garnichts zu ſuchen!“ — Glücklicherweiſe hat Stopfkuchen aber viel zu viel mit dem Mädchen zu thun, und widmet mir nur dann und wann beiläufig eine höfliche Bemerkung.

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/54>, abgerufen am 29.04.2024.