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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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immer sofort da, der dicke Heinrich. Wenn es darauf
angekommen wäre, müßte er unbedingt heute, wenn
nicht cismontaner Pabst, so doch Kardinal oder zum
mindesten Archiepiscopus; aber wahrhaftig nicht der
jetzige Bauer auf der rothen Schanze sein.

"Wo ist denn der alte Mann?" fragt er für's
Erste noch.

"Wieder vor'm Gericht in der Stadt," spricht
grimmig die Tochter und Erbin der rothen Schanze.
"Er hat's ja wieder mit dem Schulzen von Maiholzen
da gehabt und ihm die Faust vor's dumme Gesicht
gehalten und ihn in der alten Sache wegen Kienbaum
von Neuem einen Verleumder geheißen. Da ist er
denn von Neuem verklagt worden."

Und Stopfkuchen zeigt, daß er ungemein melodisch
zu flöten versteht. Er läßt seine Gefühle in einer
langgezogenen Kadenz verklingen und nimmt sie thät-
lich wieder auf, indem er den Arm dem Mädchen
um die Hüften legt, und, zu mir gewandt, sagt:

"Schöner konnten wir's ja wieder mal nicht
treffen."

Da aber begibt sich etwas, was vor Allem diesen
längst vergangenen Jugendtag mir wieder in vollster
Lebendigkeit vor die Seele stellt: Valentine Quakatz
gibt ihre Wacht am Eingangsthor der rothen Schanze
auf, -- vollständig! Der bösverkniffene Mund wird
zu einem weinerlichen verzogen; -- das Mädchen
kämpft, kämpft mit seinen Thränen, aber sie sind
mächtiger als es. Tinchen schluchzt, weint laut hinaus
und springt Stopfkuchen nicht mit den Fingernägeln

immer ſofort da, der dicke Heinrich. Wenn es darauf
angekommen wäre, müßte er unbedingt heute, wenn
nicht cismontaner Pabſt, ſo doch Kardinal oder zum
mindeſten Archiepiscopus; aber wahrhaftig nicht der
jetzige Bauer auf der rothen Schanze ſein.

„Wo iſt denn der alte Mann?“ fragt er für's
Erſte noch.

„Wieder vor'm Gericht in der Stadt,“ ſpricht
grimmig die Tochter und Erbin der rothen Schanze.
„Er hat's ja wieder mit dem Schulzen von Maiholzen
da gehabt und ihm die Fauſt vor's dumme Geſicht
gehalten und ihn in der alten Sache wegen Kienbaum
von Neuem einen Verleumder geheißen. Da iſt er
denn von Neuem verklagt worden.“

Und Stopfkuchen zeigt, daß er ungemein melodiſch
zu flöten verſteht. Er läßt ſeine Gefühle in einer
langgezogenen Kadenz verklingen und nimmt ſie thät-
lich wieder auf, indem er den Arm dem Mädchen
um die Hüften legt, und, zu mir gewandt, ſagt:

„Schöner konnten wir's ja wieder mal nicht
treffen.“

Da aber begibt ſich etwas, was vor Allem dieſen
längſt vergangenen Jugendtag mir wieder in vollſter
Lebendigkeit vor die Seele ſtellt: Valentine Quakatz
gibt ihre Wacht am Eingangsthor der rothen Schanze
auf, — vollſtändig! Der bösverkniffene Mund wird
zu einem weinerlichen verzogen; — das Mädchen
kämpft, kämpft mit ſeinen Thränen, aber ſie ſind
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[43/0053] immer ſofort da, der dicke Heinrich. Wenn es darauf angekommen wäre, müßte er unbedingt heute, wenn nicht cismontaner Pabſt, ſo doch Kardinal oder zum mindeſten Archiepiscopus; aber wahrhaftig nicht der jetzige Bauer auf der rothen Schanze ſein. „Wo iſt denn der alte Mann?“ fragt er für's Erſte noch. „Wieder vor'm Gericht in der Stadt,“ ſpricht grimmig die Tochter und Erbin der rothen Schanze. „Er hat's ja wieder mit dem Schulzen von Maiholzen da gehabt und ihm die Fauſt vor's dumme Geſicht gehalten und ihn in der alten Sache wegen Kienbaum von Neuem einen Verleumder geheißen. Da iſt er denn von Neuem verklagt worden.“ Und Stopfkuchen zeigt, daß er ungemein melodiſch zu flöten verſteht. Er läßt ſeine Gefühle in einer langgezogenen Kadenz verklingen und nimmt ſie thät- lich wieder auf, indem er den Arm dem Mädchen um die Hüften legt, und, zu mir gewandt, ſagt: „Schöner konnten wir's ja wieder mal nicht treffen.“ Da aber begibt ſich etwas, was vor Allem dieſen längſt vergangenen Jugendtag mir wieder in vollſter Lebendigkeit vor die Seele ſtellt: Valentine Quakatz gibt ihre Wacht am Eingangsthor der rothen Schanze auf, — vollſtändig! Der bösverkniffene Mund wird zu einem weinerlichen verzogen; — das Mädchen kämpft, kämpft mit ſeinen Thränen, aber ſie ſind mächtiger als es. Tinchen ſchluchzt, weint laut hinaus und ſpringt Stopfkuchen nicht mit den Fingernägeln

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/53>, abgerufen am 28.04.2024.