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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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denkbaren Brodstudien, Schaumann, auf; sie will mit
beiden Fäusten auf den Tisch schlagen, aber es geht
nicht. Sie läßt die Arme schlaff am Leibe herunter
sinken und schluchzt:

"Ich habe Keinen gerufen, um sich um mich zu
bekümmern!"

"Ne," sagt Stopfkuchen. "Ja, da hat sie Recht,
Eduard! Ich bin ganz von selber gekommen und
habe mich ihrer angenommen. Du weißt es ja,
Eduard."

Ganz so genau, wie der Freund zu meinen
schien, wußte ich es doch nicht. Nur das wußte ich,
daß es während unserer ganzen "Jugendzeit" in dieser
Hinsicht und nach der Anschauung sowohl des Hauses
wie der Schule keinen verrücktern Bengel gegeben
hatte, als Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen.
Wie ich mit dem Landpostboten Friedrich Störzer
gelaufen war, so hatte er sich vor der rothen Schanze
festgelegt -- "wie die Katze vor dem Mauseloch,"
wie er sich selber ausdrückte. Um mit Einem zu
gehen oder gar zu laufen dazu war der gemüthliche
Knabe viel zu faul; aber sich durch einen Reisbrei-
wall ins Schlaraffenland hineinzufressen, dazu war
er im Stande, und dieses war bis jetzt die Meinung
der Welt und also auch die meinige über ihn ge-
wesen. Das war es einzig und allein, was ich damals
an jenem Abschiedstage über sein Verhältniß zu --
dem Mädchen, zu Tinchen -- Valentine Quakatz
wußte. Meine Dumme-Jungens-Seele dachte nicht
daran, daß die verschüchterte, verwilderte, rothhaarige

denkbaren Brodſtudien, Schaumann, auf; ſie will mit
beiden Fäuſten auf den Tiſch ſchlagen, aber es geht
nicht. Sie läßt die Arme ſchlaff am Leibe herunter
ſinken und ſchluchzt:

„Ich habe Keinen gerufen, um ſich um mich zu
bekümmern!“

„Ne,“ ſagt Stopfkuchen. „Ja, da hat ſie Recht,
Eduard! Ich bin ganz von ſelber gekommen und
habe mich ihrer angenommen. Du weißt es ja,
Eduard.“

Ganz ſo genau, wie der Freund zu meinen
ſchien, wußte ich es doch nicht. Nur das wußte ich,
daß es während unſerer ganzen „Jugendzeit“ in dieſer
Hinſicht und nach der Anſchauung ſowohl des Hauſes
wie der Schule keinen verrücktern Bengel gegeben
hatte, als Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen.
Wie ich mit dem Landpoſtboten Friedrich Störzer
gelaufen war, ſo hatte er ſich vor der rothen Schanze
feſtgelegt — „wie die Katze vor dem Mauſeloch,“
wie er ſich ſelber ausdrückte. Um mit Einem zu
gehen oder gar zu laufen dazu war der gemüthliche
Knabe viel zu faul; aber ſich durch einen Reisbrei-
wall ins Schlaraffenland hineinzufreſſen, dazu war
er im Stande, und dieſes war bis jetzt die Meinung
der Welt und alſo auch die meinige über ihn ge-
weſen. Das war es einzig und allein, was ich damals
an jenem Abſchiedstage über ſein Verhältniß zu —
dem Mädchen, zu Tinchen — Valentine Quakatz
wußte. Meine Dumme-Jungens-Seele dachte nicht
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[52/0062] denkbaren Brodſtudien, Schaumann, auf; ſie will mit beiden Fäuſten auf den Tiſch ſchlagen, aber es geht nicht. Sie läßt die Arme ſchlaff am Leibe herunter ſinken und ſchluchzt: „Ich habe Keinen gerufen, um ſich um mich zu bekümmern!“ „Ne,“ ſagt Stopfkuchen. „Ja, da hat ſie Recht, Eduard! Ich bin ganz von ſelber gekommen und habe mich ihrer angenommen. Du weißt es ja, Eduard.“ Ganz ſo genau, wie der Freund zu meinen ſchien, wußte ich es doch nicht. Nur das wußte ich, daß es während unſerer ganzen „Jugendzeit“ in dieſer Hinſicht und nach der Anſchauung ſowohl des Hauſes wie der Schule keinen verrücktern Bengel gegeben hatte, als Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen. Wie ich mit dem Landpoſtboten Friedrich Störzer gelaufen war, ſo hatte er ſich vor der rothen Schanze feſtgelegt — „wie die Katze vor dem Mauſeloch,“ wie er ſich ſelber ausdrückte. Um mit Einem zu gehen oder gar zu laufen dazu war der gemüthliche Knabe viel zu faul; aber ſich durch einen Reisbrei- wall ins Schlaraffenland hineinzufreſſen, dazu war er im Stande, und dieſes war bis jetzt die Meinung der Welt und alſo auch die meinige über ihn ge- weſen. Das war es einzig und allein, was ich damals an jenem Abſchiedstage über ſein Verhältniß zu — dem Mädchen, zu Tinchen — Valentine Quakatz wußte. Meine Dumme-Jungens-Seele dachte nicht daran, daß die verſchüchterte, verwilderte, rothhaarige

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/62>, abgerufen am 29.04.2024.