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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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tisch auf der rothen Schanze machte, die muß doch
beschrieben werden!

Ich hatte sie als Kind nur hager gekannt; --
"klapperig" nannte es Stopfkuchen; aber sie hatte es
nicht so wie Stopfkuchen gemacht, sie hatte nicht ihre
Körperveranlagung im Laufe der Jahre zur höchsten
Potenz ausgebildet. Sie war nicht in dem Grade
dürr geworden, wie er dick geworden war. Sie war
nicht eingehuzzelt unter seinem Regimente, in dem
Schatten, dem beträchtlichen Schatten, den er warf.

Sie war ein wohlgebautes, behagliches Persön-
chen geworden, mit einigem Grau im Haar, wie
man es so gegen das vierzigste Jahr wohl gelten
lassen muß. Ich sah sie mir natürlich zuerst darauf
an, ob sie wohl noch die Hunde über den Dammweg
auf "uns Jungens" und die übrige Welt hetzen könne;
ich sah sie mir sehr genau darauf an, und ich freute
mich. Vollständig hatte sie den wilden, manchmal
halb irren Blick ihrer Kindheit und "Jugendblüthe,"
der aus ihrer trostlosen Vervehmung damals stammte,
verloren. Und als sie lächelnd die ersten Worte auch
an mich gerichtet hatte, wußte ich nach diesen ersten
Worten, daß sie seit lange nicht mehr das verschüchterte,
mit bösen Worten, Steinen und Erdklößen beworfene
Bauermädchen vom Quakatzenhof war. Es war
durchaus nicht nöthig, daß mein Freund Schaumann
es für nothwendig zu halten schien, meine Aufmerksam-
keit noch reger zu machen und zwar mit den abge-
schmackten Worten:

"Ja, ja, Eduard, Bildung steckt an, und ich bin

tiſch auf der rothen Schanze machte, die muß doch
beſchrieben werden!

Ich hatte ſie als Kind nur hager gekannt; —
„klapperig“ nannte es Stopfkuchen; aber ſie hatte es
nicht ſo wie Stopfkuchen gemacht, ſie hatte nicht ihre
Körperveranlagung im Laufe der Jahre zur höchſten
Potenz ausgebildet. Sie war nicht in dem Grade
dürr geworden, wie er dick geworden war. Sie war
nicht eingehuzzelt unter ſeinem Regimente, in dem
Schatten, dem beträchtlichen Schatten, den er warf.

Sie war ein wohlgebautes, behagliches Perſön-
chen geworden, mit einigem Grau im Haar, wie
man es ſo gegen das vierzigſte Jahr wohl gelten
laſſen muß. Ich ſah ſie mir natürlich zuerſt darauf
an, ob ſie wohl noch die Hunde über den Dammweg
auf „uns Jungens“ und die übrige Welt hetzen könne;
ich ſah ſie mir ſehr genau darauf an, und ich freute
mich. Vollſtändig hatte ſie den wilden, manchmal
halb irren Blick ihrer Kindheit und „Jugendblüthe,“
der aus ihrer troſtloſen Vervehmung damals ſtammte,
verloren. Und als ſie lächelnd die erſten Worte auch
an mich gerichtet hatte, wußte ich nach dieſen erſten
Worten, daß ſie ſeit lange nicht mehr das verſchüchterte,
mit böſen Worten, Steinen und Erdklößen beworfene
Bauermädchen vom Quakatzenhof war. Es war
durchaus nicht nöthig, daß mein Freund Schaumann
es für nothwendig zu halten ſchien, meine Aufmerkſam-
keit noch reger zu machen und zwar mit den abge-
ſchmackten Worten:

„Ja, ja, Eduard, Bildung ſteckt an, und ich bin

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[69/0079] tiſch auf der rothen Schanze machte, die muß doch beſchrieben werden! Ich hatte ſie als Kind nur hager gekannt; — „klapperig“ nannte es Stopfkuchen; aber ſie hatte es nicht ſo wie Stopfkuchen gemacht, ſie hatte nicht ihre Körperveranlagung im Laufe der Jahre zur höchſten Potenz ausgebildet. Sie war nicht in dem Grade dürr geworden, wie er dick geworden war. Sie war nicht eingehuzzelt unter ſeinem Regimente, in dem Schatten, dem beträchtlichen Schatten, den er warf. Sie war ein wohlgebautes, behagliches Perſön- chen geworden, mit einigem Grau im Haar, wie man es ſo gegen das vierzigſte Jahr wohl gelten laſſen muß. Ich ſah ſie mir natürlich zuerſt darauf an, ob ſie wohl noch die Hunde über den Dammweg auf „uns Jungens“ und die übrige Welt hetzen könne; ich ſah ſie mir ſehr genau darauf an, und ich freute mich. Vollſtändig hatte ſie den wilden, manchmal halb irren Blick ihrer Kindheit und „Jugendblüthe,“ der aus ihrer troſtloſen Vervehmung damals ſtammte, verloren. Und als ſie lächelnd die erſten Worte auch an mich gerichtet hatte, wußte ich nach dieſen erſten Worten, daß ſie ſeit lange nicht mehr das verſchüchterte, mit böſen Worten, Steinen und Erdklößen beworfene Bauermädchen vom Quakatzenhof war. Es war durchaus nicht nöthig, daß mein Freund Schaumann es für nothwendig zu halten ſchien, meine Aufmerkſam- keit noch reger zu machen und zwar mit den abge- ſchmackten Worten: „Ja, ja, Eduard, Bildung ſteckt an, und ich bin

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/79>, abgerufen am 29.04.2024.