Wir wandelten oder watschelten wieder durch seinen Gartenweg, zwischen seinen Johannis- und Stachelbeerbüschen, seiner brennenden Liebe, seinen Rosen und Lilien, seinem Rittersporn und Venus- wagen empor zu der Brüstung seiner Festung. Als Geschichtsforscher und als Philosoph der rothen Schanze erwies er sich von Augenblick zu Augenblick größer -- bedeutender. Und dabei hatte er sich in seiner wohl- gefütterten Einsamkeit und in den Armen seiner kleinen, herzigen Frau zu einem Selbstredner sondergleichen ausgebildet. Er fragte, und er gab gewöhnlich die Antwort selber, was für den Gefragten stets seine große Bequemlichkeit hat.
"Woher stammen im Grunde des Menschen Schicksale, Eduard?" fragte er zuerst, und ehe ich antworten konnte (was hätte ich antworten können?) meinte er: "Gewöhnlich, wenn nicht immer aus Einem Punkte. Von meinem Kinderwagen her -- Du weißt, Eduard, ich war seit frühester Jugend etwas schwach auf den Beinen -- erinnere ich mich noch ganz gut jener Sonntagsnachmittagsspazierfahrt- stunde, wo mein Dämon mich zum erstenmal hierauf anwies, in welcher mein Vater sagte: ,Hinter der rothen Schanze, Frau, kommen wir gottlob bald in den Schatten. Der Bengel da könnte übrigens auch bald zu Fuße laufen! Meinst Du nicht?' -- ,Er ist so schwach auf den Füßen,' seufzte meine selige Mutter, und dieses Wort vergesse ich ihr nimmer. Ja, Eduard, ich bin immer etwas schwach, nicht nur von Begriffen, sondern auch auf den Füßen gewesen, und das ist
Wir wandelten oder watſchelten wieder durch ſeinen Gartenweg, zwiſchen ſeinen Johannis- und Stachelbeerbüſchen, ſeiner brennenden Liebe, ſeinen Roſen und Lilien, ſeinem Ritterſporn und Venus- wagen empor zu der Brüſtung ſeiner Feſtung. Als Geſchichtsforſcher und als Philoſoph der rothen Schanze erwies er ſich von Augenblick zu Augenblick größer — bedeutender. Und dabei hatte er ſich in ſeiner wohl- gefütterten Einſamkeit und in den Armen ſeiner kleinen, herzigen Frau zu einem Selbſtredner ſondergleichen ausgebildet. Er fragte, und er gab gewöhnlich die Antwort ſelber, was für den Gefragten ſtets ſeine große Bequemlichkeit hat.
„Woher ſtammen im Grunde des Menſchen Schickſale, Eduard?“ fragte er zuerſt, und ehe ich antworten konnte (was hätte ich antworten können?) meinte er: „Gewöhnlich, wenn nicht immer aus Einem Punkte. Von meinem Kinderwagen her — Du weißt, Eduard, ich war ſeit früheſter Jugend etwas ſchwach auf den Beinen — erinnere ich mich noch ganz gut jener Sonntagsnachmittagsſpazierfahrt- ſtunde, wo mein Dämon mich zum erſtenmal hierauf anwies, in welcher mein Vater ſagte: ‚Hinter der rothen Schanze, Frau, kommen wir gottlob bald in den Schatten. Der Bengel da könnte übrigens auch bald zu Fuße laufen! Meinſt Du nicht?‘ — ‚Er iſt ſo ſchwach auf den Füßen,‘ ſeufzte meine ſelige Mutter, und dieſes Wort vergeſſe ich ihr nimmer. Ja, Eduard, ich bin immer etwas ſchwach, nicht nur von Begriffen, ſondern auch auf den Füßen geweſen, und das iſt
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Wir wandelten oder watſchelten wieder durch
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wagen empor zu der Brüſtung ſeiner Feſtung. Als
Geſchichtsforſcher und als Philoſoph der rothen Schanze
erwies er ſich von Augenblick zu Augenblick größer —
bedeutender. Und dabei hatte er ſich in ſeiner wohl-
gefütterten Einſamkeit und in den Armen ſeiner kleinen,
herzigen Frau zu einem Selbſtredner ſondergleichen
ausgebildet. Er fragte, und er gab gewöhnlich die
Antwort ſelber, was für den Gefragten ſtets ſeine
große Bequemlichkeit hat.
„Woher ſtammen im Grunde des Menſchen
Schickſale, Eduard?“ fragte er zuerſt, und ehe ich
antworten konnte (was hätte ich antworten können?)
meinte er: „Gewöhnlich, wenn nicht immer aus
Einem Punkte. Von meinem Kinderwagen her —
Du weißt, Eduard, ich war ſeit früheſter Jugend
etwas ſchwach auf den Beinen — erinnere ich mich
noch ganz gut jener Sonntagsnachmittagsſpazierfahrt-
ſtunde, wo mein Dämon mich zum erſtenmal hierauf
anwies, in welcher mein Vater ſagte: ‚Hinter der
rothen Schanze, Frau, kommen wir gottlob bald in
den Schatten. Der Bengel da könnte übrigens auch
bald zu Fuße laufen! Meinſt Du nicht?‘ — ‚Er iſt
ſo ſchwach auf den Füßen,‘ ſeufzte meine ſelige Mutter,
und dieſes Wort vergeſſe ich ihr nimmer. Ja, Eduard,
ich bin immer etwas ſchwach, nicht nur von Begriffen,
ſondern auch auf den Füßen geweſen, und das iſt
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Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/88>, abgerufen am 29.04.2024.
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