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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Vorbericht.
er die Fehler auch wirklich an sich, die wir lächer
lich machen? Drey schwere Fragen! Wie leicht be
trügen wir uns selbst, wenn wir dasjenige für einen
Trieb der Menschenliebe halten, welches wohl nichts,
als eine aufwallende Hitze der Rachbegierde, ist.
Wir sind beleidigt; unser Feind soll es empfinden,
wie gefährlich es sey, denjenigen zu beleidigen, der
seine Fehler einsieht, und Witz genug hat, ihn lächer-
lich zu machen. Wollen wir ihn bessern? Nein!
denn er ist unser Feind, und wir verlören zu viel,
wenn derjenige durch seine Besserung sich die Hoch-
achtung der vernünftigen Welt verdiente, welchen
wir bey der vernünftigen und unvernünftigen Welt
lächerlich machen wollen. Vielmals hat er keinen
Fehler weiter, als diesen, daß er unser Feind ist.
Schwachheiten machen wir zu Verbrechen[,] und was
wir bey uns Versehen heißen, das stellt uns der
Haß an unsern Feinden als die abscheulichsten Laster
vor. Wie können wir verlangen, daß dasjenige eine
Satyre seyn soll, was wir, wenn es wider uns ge-
gerichtet wäre, eine rachsüchtige Verleumdung nen-
nen würden? Jch glaube auch, daß es sehr unvor-
sichtig ist, wider seinen Feind Satyren zu schreiben;
gesetzt, daß wir in der That die Absicht hätten, ihn
zu bessern und gesetzt, daß er wirklich lasterhaft wäre.

Unser

Vorbericht.
er die Fehler auch wirklich an ſich, die wir laͤcher
lich machen? Drey ſchwere Fragen! Wie leicht be
truͤgen wir uns ſelbſt, wenn wir dasjenige fuͤr einen
Trieb der Menſchenliebe halten, welches wohl nichts,
als eine aufwallende Hitze der Rachbegierde, iſt.
Wir ſind beleidigt; unſer Feind ſoll es empfinden,
wie gefaͤhrlich es ſey, denjenigen zu beleidigen, der
ſeine Fehler einſieht, und Witz genug hat, ihn laͤcher-
lich zu machen. Wollen wir ihn beſſern? Nein!
denn er iſt unſer Feind, und wir verloͤren zu viel,
wenn derjenige durch ſeine Beſſerung ſich die Hoch-
achtung der vernuͤnftigen Welt verdiente, welchen
wir bey der vernuͤnftigen und unvernuͤnftigen Welt
laͤcherlich machen wollen. Vielmals hat er keinen
Fehler weiter, als dieſen, daß er unſer Feind iſt.
Schwachheiten machen wir zu Verbrechen[,] und was
wir bey uns Verſehen heißen, das ſtellt uns der
Haß an unſern Feinden als die abſcheulichſten Laſter
vor. Wie koͤnnen wir verlangen, daß dasjenige eine
Satyre ſeyn ſoll, was wir, wenn es wider uns ge-
gerichtet waͤre, eine rachſuͤchtige Verleumdung nen-
nen wuͤrden? Jch glaube auch, daß es ſehr unvor-
ſichtig iſt, wider ſeinen Feind Satyren zu ſchreiben;
geſetzt, daß wir in der That die Abſicht haͤtten, ihn
zu beſſern und geſetzt, daß er wirklich laſterhaft waͤre.

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[16/0016] Vorbericht. er die Fehler auch wirklich an ſich, die wir laͤcher lich machen? Drey ſchwere Fragen! Wie leicht be truͤgen wir uns ſelbſt, wenn wir dasjenige fuͤr einen Trieb der Menſchenliebe halten, welches wohl nichts, als eine aufwallende Hitze der Rachbegierde, iſt. Wir ſind beleidigt; unſer Feind ſoll es empfinden, wie gefaͤhrlich es ſey, denjenigen zu beleidigen, der ſeine Fehler einſieht, und Witz genug hat, ihn laͤcher- lich zu machen. Wollen wir ihn beſſern? Nein! denn er iſt unſer Feind, und wir verloͤren zu viel, wenn derjenige durch ſeine Beſſerung ſich die Hoch- achtung der vernuͤnftigen Welt verdiente, welchen wir bey der vernuͤnftigen und unvernuͤnftigen Welt laͤcherlich machen wollen. Vielmals hat er keinen Fehler weiter, als dieſen, daß er unſer Feind iſt. Schwachheiten machen wir zu Verbrechen, und was wir bey uns Verſehen heißen, das ſtellt uns der Haß an unſern Feinden als die abſcheulichſten Laſter vor. Wie koͤnnen wir verlangen, daß dasjenige eine Satyre ſeyn ſoll, was wir, wenn es wider uns ge- gerichtet waͤre, eine rachſuͤchtige Verleumdung nen- nen wuͤrden? Jch glaube auch, daß es ſehr unvor- ſichtig iſt, wider ſeinen Feind Satyren zu ſchreiben; geſetzt, daß wir in der That die Abſicht haͤtten, ihn zu beſſern und geſetzt, daß er wirklich laſterhaft waͤre. Unſer

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/16>, abgerufen am 02.05.2024.