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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
Närrinn wäre? Jch nahm mir vor, meinen Ver-
druß zu verbergen, und seinem Schwiegervater,
wenn er das Zeugniß abholen würde, die größten
Lobeserhebungen von ihm vorzusagen. Aber es
kam niemand, der mein Gutachten wissen wollte,
und ich muß glauben, daß auch dieses nur eine
boshafte Erfindung war, mich abzufertigen. Jch
unglückliches Mädchen! Was sollte ich nun thun?
Meine Freunde wurden immer treuherziger. Je
länger ich ihr Brod aß, ie deutlicher sagten sie
mir, daß sie wünschten, ich möchte nun bald vor
eine andre Thüre gehen. Aber vor welche? Das
wußten sie nicht, und ich noch weniger.

Jch hatte Gelegenheit gehabt, die Schwe-
ster meines ersten Liebhabers, des Herrn Hofraths
R - - - kennen zu lernen. Die Bekanntschaft
half mir weiter nichts, als daß ich erfuhr, seine
zwote Frau sey ihm vor einem halben Jahre auch
wieder gestorben. Es gehörte eine Unverschämt-
heit dazu, diese Nachricht sich zu Nutze zu ma-
chen; aber für ein Frauenzimmer, das demüthig
genug gewesen, dem Schreiber ihres Vaters ihr
Herz anzubieten, und welches nicht vor Scham ge-
storben war, da sie eine abschlägige Antwort von
ihm erhalten hatte; für ein solches Frauenzimmer
war die Entschließung nicht zu schwer, einen ver-
schmähten Liebhaber um Gegenliebe anzuflehn.
Jch schrieb an den Hofrath:

Mein
P 3

Satyriſche Briefe.
Naͤrrinn waͤre? Jch nahm mir vor, meinen Ver-
druß zu verbergen, und ſeinem Schwiegervater,
wenn er das Zeugniß abholen wuͤrde, die groͤßten
Lobeserhebungen von ihm vorzuſagen. Aber es
kam niemand, der mein Gutachten wiſſen wollte,
und ich muß glauben, daß auch dieſes nur eine
boshafte Erfindung war, mich abzufertigen. Jch
ungluͤckliches Maͤdchen! Was ſollte ich nun thun?
Meine Freunde wurden immer treuherziger. Je
laͤnger ich ihr Brod aß, ie deutlicher ſagten ſie
mir, daß ſie wuͤnſchten, ich moͤchte nun bald vor
eine andre Thuͤre gehen. Aber vor welche? Das
wußten ſie nicht, und ich noch weniger.

Jch hatte Gelegenheit gehabt, die Schwe-
ſter meines erſten Liebhabers, des Herrn Hofraths
R ‒ ‒ ‒ kennen zu lernen. Die Bekanntſchaft
half mir weiter nichts, als daß ich erfuhr, ſeine
zwote Frau ſey ihm vor einem halben Jahre auch
wieder geſtorben. Es gehoͤrte eine Unverſchaͤmt-
heit dazu, dieſe Nachricht ſich zu Nutze zu ma-
chen; aber fuͤr ein Frauenzimmer, das demuͤthig
genug geweſen, dem Schreiber ihres Vaters ihr
Herz anzubieten, und welches nicht vor Scham ge-
ſtorben war, da ſie eine abſchlaͤgige Antwort von
ihm erhalten hatte; fuͤr ein ſolches Frauenzimmer
war die Entſchließung nicht zu ſchwer, einen ver-
ſchmaͤhten Liebhaber um Gegenliebe anzuflehn.
Jch ſchrieb an den Hofrath:

Mein
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[229/0257] Satyriſche Briefe. Naͤrrinn waͤre? Jch nahm mir vor, meinen Ver- druß zu verbergen, und ſeinem Schwiegervater, wenn er das Zeugniß abholen wuͤrde, die groͤßten Lobeserhebungen von ihm vorzuſagen. Aber es kam niemand, der mein Gutachten wiſſen wollte, und ich muß glauben, daß auch dieſes nur eine boshafte Erfindung war, mich abzufertigen. Jch ungluͤckliches Maͤdchen! Was ſollte ich nun thun? Meine Freunde wurden immer treuherziger. Je laͤnger ich ihr Brod aß, ie deutlicher ſagten ſie mir, daß ſie wuͤnſchten, ich moͤchte nun bald vor eine andre Thuͤre gehen. Aber vor welche? Das wußten ſie nicht, und ich noch weniger. Jch hatte Gelegenheit gehabt, die Schwe- ſter meines erſten Liebhabers, des Herrn Hofraths R ‒ ‒ ‒ kennen zu lernen. Die Bekanntſchaft half mir weiter nichts, als daß ich erfuhr, ſeine zwote Frau ſey ihm vor einem halben Jahre auch wieder geſtorben. Es gehoͤrte eine Unverſchaͤmt- heit dazu, dieſe Nachricht ſich zu Nutze zu ma- chen; aber fuͤr ein Frauenzimmer, das demuͤthig genug geweſen, dem Schreiber ihres Vaters ihr Herz anzubieten, und welches nicht vor Scham ge- ſtorben war, da ſie eine abſchlaͤgige Antwort von ihm erhalten hatte; fuͤr ein ſolches Frauenzimmer war die Entſchließung nicht zu ſchwer, einen ver- ſchmaͤhten Liebhaber um Gegenliebe anzuflehn. Jch ſchrieb an den Hofrath: Mein P 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/257>, abgerufen am 06.05.2024.