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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Zweytes Buch.
und er läßt sichs um so viel lieber gefallen, da er
bisher der einzige am Hofe gewesen ist, der an sei-
nen Verdiensten nicht gezweifelt hat. Nun über-
rechnet er schon sein künftiges Glück, da er gewiß
glaubt, daß er der Vertraute des Prinzen sey.
Er hat Feinde, und diesen will er es empfinden
lassen, daß sie seine Feinde gewesen sind. Er hat
Schulden; diese will er nicht bezahlen, denn nun-
mehr würde sich das noch weniger für ihn schicken,
als vorher. Aber er will Schätze sammeln, und
was ihn noch beunruhiget, ist die Ungewißheit,
welche Güter im Lande er eigentlich an sich kau-
fen will. Zu seinem guten Glücke ist er noch nicht
vermählt. Er läßt in Gedanken alle Fräulein
die Musterung passiren, und bedauert die guten
Kinder, daß er nur eine von ihnen heirathen kann.
Mit dergleichen angenehmen Träumen beschäfftigt
sich der arme Graf, und weis nicht, daß es nur
Träume vom ersten Aprile sind. Noch an eben
dem Tage kömmt er an den Hof zurück. Er nä-
hert sich dem Prinzen mit einer gewissen Vertrau-
lichkeit, zu welcher er seit drey Stunden berech-
tigt zu seyn glaubt. Der Prinz sieht ihn gleich-
gültig an; er redet mit allen, die um ihn stehen,
nur mit dem Grafen nicht. Diese veränderte
Scene ist ihm ein Räthsel. Er wagt es endlich,
dem Prinzen etwas ins Ohr zu sagen; der Prinz
hört es, ohne seine Miene zu ändern, oder ihm zu
antworten. Er wiederholt seine stille Frage noch
einmal; der Prinz antwortet ihm mit einem un-
zufriedenen, Nein! und kehrt ihm den Rücken zu.

Der
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Zweytes Buch.
und er laͤßt ſichs um ſo viel lieber gefallen, da er
bisher der einzige am Hofe geweſen iſt, der an ſei-
nen Verdienſten nicht gezweifelt hat. Nun uͤber-
rechnet er ſchon ſein kuͤnftiges Gluͤck, da er gewiß
glaubt, daß er der Vertraute des Prinzen ſey.
Er hat Feinde, und dieſen will er es empfinden
laſſen, daß ſie ſeine Feinde geweſen ſind. Er hat
Schulden; dieſe will er nicht bezahlen, denn nun-
mehr wuͤrde ſich das noch weniger fuͤr ihn ſchicken,
als vorher. Aber er will Schaͤtze ſammeln, und
was ihn noch beunruhiget, iſt die Ungewißheit,
welche Guͤter im Lande er eigentlich an ſich kau-
fen will. Zu ſeinem guten Gluͤcke iſt er noch nicht
vermaͤhlt. Er laͤßt in Gedanken alle Fraͤulein
die Muſterung paſſiren, und bedauert die guten
Kinder, daß er nur eine von ihnen heirathen kann.
Mit dergleichen angenehmen Traͤumen beſchaͤfftigt
ſich der arme Graf, und weis nicht, daß es nur
Traͤume vom erſten Aprile ſind. Noch an eben
dem Tage koͤmmt er an den Hof zuruͤck. Er naͤ-
hert ſich dem Prinzen mit einer gewiſſen Vertrau-
lichkeit, zu welcher er ſeit drey Stunden berech-
tigt zu ſeyn glaubt. Der Prinz ſieht ihn gleich-
guͤltig an; er redet mit allen, die um ihn ſtehen,
nur mit dem Grafen nicht. Dieſe veraͤnderte
Scene iſt ihm ein Raͤthſel. Er wagt es endlich,
dem Prinzen etwas ins Ohr zu ſagen; der Prinz
hoͤrt es, ohne ſeine Miene zu aͤndern, oder ihm zu
antworten. Er wiederholt ſeine ſtille Frage noch
einmal; der Prinz antwortet ihm mit einem un-
zufriedenen, Nein! und kehrt ihm den Ruͤcken zu.

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[503[501]/0525] Zweytes Buch. und er laͤßt ſichs um ſo viel lieber gefallen, da er bisher der einzige am Hofe geweſen iſt, der an ſei- nen Verdienſten nicht gezweifelt hat. Nun uͤber- rechnet er ſchon ſein kuͤnftiges Gluͤck, da er gewiß glaubt, daß er der Vertraute des Prinzen ſey. Er hat Feinde, und dieſen will er es empfinden laſſen, daß ſie ſeine Feinde geweſen ſind. Er hat Schulden; dieſe will er nicht bezahlen, denn nun- mehr wuͤrde ſich das noch weniger fuͤr ihn ſchicken, als vorher. Aber er will Schaͤtze ſammeln, und was ihn noch beunruhiget, iſt die Ungewißheit, welche Guͤter im Lande er eigentlich an ſich kau- fen will. Zu ſeinem guten Gluͤcke iſt er noch nicht vermaͤhlt. Er laͤßt in Gedanken alle Fraͤulein die Muſterung paſſiren, und bedauert die guten Kinder, daß er nur eine von ihnen heirathen kann. Mit dergleichen angenehmen Traͤumen beſchaͤfftigt ſich der arme Graf, und weis nicht, daß es nur Traͤume vom erſten Aprile ſind. Noch an eben dem Tage koͤmmt er an den Hof zuruͤck. Er naͤ- hert ſich dem Prinzen mit einer gewiſſen Vertrau- lichkeit, zu welcher er ſeit drey Stunden berech- tigt zu ſeyn glaubt. Der Prinz ſieht ihn gleich- guͤltig an; er redet mit allen, die um ihn ſtehen, nur mit dem Grafen nicht. Dieſe veraͤnderte Scene iſt ihm ein Raͤthſel. Er wagt es endlich, dem Prinzen etwas ins Ohr zu ſagen; der Prinz hoͤrt es, ohne ſeine Miene zu aͤndern, oder ihm zu antworten. Er wiederholt ſeine ſtille Frage noch einmal; der Prinz antwortet ihm mit einem un- zufriedenen, Nein! und kehrt ihm den Ruͤcken zu. Der J i 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 503[501]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/525>, abgerufen am 30.04.2024.