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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Das Capitol.
ich: Epicur und Metrodor, eine Herme mit zwei
Köpfen, Diogenes, Mithridates, und den letz-
ten unter den vier Köpfen Homers,
als die vor-
züglichsten.

Wie Büsten,
als Bildnisse
bestimmter
Personen, in-
teressiren
können,
wenn wir
gleich von
den wenig-
sten den Nah-
men mit Ge-
wißheit an-
zugeben im
Stande sind:
Gründe die-
ser Ungewiß-
heit.

Inzwischen verdienen die meisten eine besondere
Aufmerksamkeit. Ich kenne nichts Interessanteres,
als in Gesichtsbildungen aus so entfernten und das Ge-
fühl der inneren Würde des Menschen so hebenden Zei-
ten, Seelen aufzuspühren, die wir nach unserer durch
Erfahrung unterstützten Einbildungskraft passend für
sie halten.

Das Vergnügen würde unstreitig um ein großes
lebhafter seyn, wenn wir mit einiger Gewißheit den
Charakter, den jede Figur in ihrem Leben behauptet,
die Rolle, die jede in der Geschichte gespielet hat, an-
zugeben wüßten. Allein darauf müssen wir gemeini-
glich Verzicht thun, und uns den Genuß genügen las-
sen, den der Anblick einer edeln aber unbekannten Ge-
sichtsbildung denen gewährt, die Sinn für das äußere
Gepräge der Seelengröße haben.

Wir folgen bei der Bezeichnung einer Büste
mit einem gewissen Nahmen immer nur sehr unsichern
Selbst die
von Alters
her eingegra-
benen Nah-
men entschei-
den nichts
für die Treue
der Nachbil-
dung.
Wegweisern. Die Nahmen, die sich auf der Base
der Büsten eingegraben finden, sind selten alt, und
wenn sie es sind, so gehören oft Kopf und Base nicht
zusammen. Ja! schon in alten Zeiten waren die
Bildnisse großer Männer oft verlohren gegangen, und
die Begierde, ihr Andenken lebhaft zu erhalten, ver-
führte zuweilen die Liebhaber großen Nahmen eine Bil-
dung andichten zu lassen, mit der man sich ungefähr
ihren bekannten Charakter zusammen denken konnte.

Eine

Das Capitol.
ich: Epicur und Metrodor, eine Herme mit zwei
Koͤpfen, Diogenes, Mithridates, und den letz-
ten unter den vier Koͤpfen Homers,
als die vor-
zuͤglichſten.

Wie Buͤſten,
als Bildniſſe
beſtimmter
Perſonen, in-
tereſſiren
koͤnnen,
wenn wir
gleich von
den wenig-
ſten den Nah-
men mit Ge-
wißheit an-
zugeben im
Stande ſind:
Gruͤnde die-
ſer Ungewiß-
heit.

Inzwiſchen verdienen die meiſten eine beſondere
Aufmerkſamkeit. Ich kenne nichts Intereſſanteres,
als in Geſichtsbildungen aus ſo entfernten und das Ge-
fuͤhl der inneren Wuͤrde des Menſchen ſo hebenden Zei-
ten, Seelen aufzuſpuͤhren, die wir nach unſerer durch
Erfahrung unterſtuͤtzten Einbildungskraft paſſend fuͤr
ſie halten.

Das Vergnuͤgen wuͤrde unſtreitig um ein großes
lebhafter ſeyn, wenn wir mit einiger Gewißheit den
Charakter, den jede Figur in ihrem Leben behauptet,
die Rolle, die jede in der Geſchichte geſpielet hat, an-
zugeben wuͤßten. Allein darauf muͤſſen wir gemeini-
glich Verzicht thun, und uns den Genuß genuͤgen laſ-
ſen, den der Anblick einer edeln aber unbekannten Ge-
ſichtsbildung denen gewaͤhrt, die Sinn fuͤr das aͤußere
Gepraͤge der Seelengroͤße haben.

Wir folgen bei der Bezeichnung einer Buͤſte
mit einem gewiſſen Nahmen immer nur ſehr unſichern
Selbſt die
von Alters
her eingegra-
benen Nah-
men entſchei-
den nichts
fuͤr die Treue
der Nachbil-
dung.
Wegweiſern. Die Nahmen, die ſich auf der Baſe
der Buͤſten eingegraben finden, ſind ſelten alt, und
wenn ſie es ſind, ſo gehoͤren oft Kopf und Baſe nicht
zuſammen. Ja! ſchon in alten Zeiten waren die
Bildniſſe großer Maͤnner oft verlohren gegangen, und
die Begierde, ihr Andenken lebhaft zu erhalten, ver-
fuͤhrte zuweilen die Liebhaber großen Nahmen eine Bil-
dung andichten zu laſſen, mit der man ſich ungefaͤhr
ihren bekannten Charakter zuſammen denken konnte.

Eine
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[234/0256] Das Capitol. ich: Epicur und Metrodor, eine Herme mit zwei Koͤpfen, Diogenes, Mithridates, und den letz- ten unter den vier Koͤpfen Homers, als die vor- zuͤglichſten. Inzwiſchen verdienen die meiſten eine beſondere Aufmerkſamkeit. Ich kenne nichts Intereſſanteres, als in Geſichtsbildungen aus ſo entfernten und das Ge- fuͤhl der inneren Wuͤrde des Menſchen ſo hebenden Zei- ten, Seelen aufzuſpuͤhren, die wir nach unſerer durch Erfahrung unterſtuͤtzten Einbildungskraft paſſend fuͤr ſie halten. Das Vergnuͤgen wuͤrde unſtreitig um ein großes lebhafter ſeyn, wenn wir mit einiger Gewißheit den Charakter, den jede Figur in ihrem Leben behauptet, die Rolle, die jede in der Geſchichte geſpielet hat, an- zugeben wuͤßten. Allein darauf muͤſſen wir gemeini- glich Verzicht thun, und uns den Genuß genuͤgen laſ- ſen, den der Anblick einer edeln aber unbekannten Ge- ſichtsbildung denen gewaͤhrt, die Sinn fuͤr das aͤußere Gepraͤge der Seelengroͤße haben. Wir folgen bei der Bezeichnung einer Buͤſte mit einem gewiſſen Nahmen immer nur ſehr unſichern Wegweiſern. Die Nahmen, die ſich auf der Baſe der Buͤſten eingegraben finden, ſind ſelten alt, und wenn ſie es ſind, ſo gehoͤren oft Kopf und Baſe nicht zuſammen. Ja! ſchon in alten Zeiten waren die Bildniſſe großer Maͤnner oft verlohren gegangen, und die Begierde, ihr Andenken lebhaft zu erhalten, ver- fuͤhrte zuweilen die Liebhaber großen Nahmen eine Bil- dung andichten zu laſſen, mit der man ſich ungefaͤhr ihren bekannten Charakter zuſammen denken konnte. Selbſt die von Alters her eingegra- benen Nah- men entſchei- den nichts fuͤr die Treue der Nachbil- dung. Eine

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/256>, abgerufen am 30.04.2024.