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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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eines allgemeinen Krieges.
ein Zwiespalt aus, der niemals wieder gründlich beigelegt
werden konnte.

Gewiß, man dürfte diesen Unterschied nicht von einer
geringeren Lebendigkeit der religiösen Bewegung innerhalb
des Katholicismus herleiten: wir nahmen eben das Gegen-
theil wahr. Eher ließe sich folgender Grund angeben. In
dem Katholicismus war nicht jene Energie der ausschlie-
ßenden Dogmatik, die den Protestantismus beherrschte: es
gab wichtige Streitfragen, welche man unausgemacht ließ;
Enthustasmus, Mystik und die tiefere, nicht bis zur Klar-
heit des Gedankens durchzubildende Sinnesweise, die sich
aus religiösen Tendenzen von Zeit zu Zeit immer wieder
erheben muß, ward von dem Katholicismus in sich aufge-
nommen, geregelt, in den Formen klösterlicher Ascetik dienst-
bar gemacht, von dem Protestantismus dagegen zurückge-
wiesen, verdammt und ausgestoßen. Eben darum brach
dann unter den Protestanten eine solche Gesinnung, sich
selbst überlassen, in mancherlei Secten hervor, und suchte
sich einseitig aber frei ihre eigenen Bahnen.

Dem entspricht es, daß die Literatur überhaupt auf
der katholischen Seite um vieles mehr Gestalt und Re-
gel gewonnen hatte. Wir können sagen, unter den Auspi-
cien der Kirche setzten sich in Italien zuerst die modern-
classischen Formen durch: in Spanien näherte man sich ih-
nen, so weit es der Geist der Nation immer zuließ: schon
begann eine ähnliche Entwickelung in Frankreich, wo sie
sich später so vollkommen ins Werk gesetzt, so glänzende Re-
sultate hervorgebracht hat. Malherbe trat auf, der sich
zuerst der Regel willig unterwarf und alle Licenz selbstbe-

eines allgemeinen Krieges.
ein Zwieſpalt aus, der niemals wieder gruͤndlich beigelegt
werden konnte.

Gewiß, man duͤrfte dieſen Unterſchied nicht von einer
geringeren Lebendigkeit der religioͤſen Bewegung innerhalb
des Katholicismus herleiten: wir nahmen eben das Gegen-
theil wahr. Eher ließe ſich folgender Grund angeben. In
dem Katholicismus war nicht jene Energie der ausſchlie-
ßenden Dogmatik, die den Proteſtantismus beherrſchte: es
gab wichtige Streitfragen, welche man unausgemacht ließ;
Enthuſtasmus, Myſtik und die tiefere, nicht bis zur Klar-
heit des Gedankens durchzubildende Sinnesweiſe, die ſich
aus religioͤſen Tendenzen von Zeit zu Zeit immer wieder
erheben muß, ward von dem Katholicismus in ſich aufge-
nommen, geregelt, in den Formen kloͤſterlicher Ascetik dienſt-
bar gemacht, von dem Proteſtantismus dagegen zuruͤckge-
wieſen, verdammt und ausgeſtoßen. Eben darum brach
dann unter den Proteſtanten eine ſolche Geſinnung, ſich
ſelbſt uͤberlaſſen, in mancherlei Secten hervor, und ſuchte
ſich einſeitig aber frei ihre eigenen Bahnen.

Dem entſpricht es, daß die Literatur uͤberhaupt auf
der katholiſchen Seite um vieles mehr Geſtalt und Re-
gel gewonnen hatte. Wir koͤnnen ſagen, unter den Auſpi-
cien der Kirche ſetzten ſich in Italien zuerſt die modern-
claſſiſchen Formen durch: in Spanien naͤherte man ſich ih-
nen, ſo weit es der Geiſt der Nation immer zuließ: ſchon
begann eine aͤhnliche Entwickelung in Frankreich, wo ſie
ſich ſpaͤter ſo vollkommen ins Werk geſetzt, ſo glaͤnzende Re-
ſultate hervorgebracht hat. Malherbe trat auf, der ſich
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[441/0453] eines allgemeinen Krieges. ein Zwieſpalt aus, der niemals wieder gruͤndlich beigelegt werden konnte. Gewiß, man duͤrfte dieſen Unterſchied nicht von einer geringeren Lebendigkeit der religioͤſen Bewegung innerhalb des Katholicismus herleiten: wir nahmen eben das Gegen- theil wahr. Eher ließe ſich folgender Grund angeben. In dem Katholicismus war nicht jene Energie der ausſchlie- ßenden Dogmatik, die den Proteſtantismus beherrſchte: es gab wichtige Streitfragen, welche man unausgemacht ließ; Enthuſtasmus, Myſtik und die tiefere, nicht bis zur Klar- heit des Gedankens durchzubildende Sinnesweiſe, die ſich aus religioͤſen Tendenzen von Zeit zu Zeit immer wieder erheben muß, ward von dem Katholicismus in ſich aufge- nommen, geregelt, in den Formen kloͤſterlicher Ascetik dienſt- bar gemacht, von dem Proteſtantismus dagegen zuruͤckge- wieſen, verdammt und ausgeſtoßen. Eben darum brach dann unter den Proteſtanten eine ſolche Geſinnung, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, in mancherlei Secten hervor, und ſuchte ſich einſeitig aber frei ihre eigenen Bahnen. Dem entſpricht es, daß die Literatur uͤberhaupt auf der katholiſchen Seite um vieles mehr Geſtalt und Re- gel gewonnen hatte. Wir koͤnnen ſagen, unter den Auſpi- cien der Kirche ſetzten ſich in Italien zuerſt die modern- claſſiſchen Formen durch: in Spanien naͤherte man ſich ih- nen, ſo weit es der Geiſt der Nation immer zuließ: ſchon begann eine aͤhnliche Entwickelung in Frankreich, wo ſie ſich ſpaͤter ſo vollkommen ins Werk geſetzt, ſo glaͤnzende Re- ſultate hervorgebracht hat. Malherbe trat auf, der ſich zuerſt der Regel willig unterwarf und alle Licenz ſelbſtbe-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/453>, abgerufen am 29.04.2024.